Am 16.02.2021 um 05:11 schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich wollte dem entgegensetzen, wie einfach, vielleicht bewusst oder unbewusst naiv die
Fragen des Albert Einstein waren, die er Sigmund Freud stellte, so dass letzterer
diesbezüglich erstaunt war. So suchte ich diesen Briefwechsel zu finden, um Antwort auf
die Frage zu bekommen: Hilft Mathematik doch nicht? Folgender Vortrag kam zum Vorschein:
https://www.math.uni-hamburg.de/home/eckhardt/Einstein_Freud_2006.pdf
Vielleicht sagen die Vorläufer der neoklassischen Philosophie (ich kürze schon mal ab:
nP), damit sie sich nicht langweilen, dieser Vortrag des Ulrich Eckhardt sei doch schon
längst obsolet. Ich glaube ich finde jedoch einiges Interessantes dort, ohne es ganz
gelesen zu haben, gerade zum Thema, wie Mathematik nutzen oder gar schaden kann. Dort ist
sogar ein Leckerbissen für Immaterialisten beschrieben.
Hi JH,
ja, die Vorträge Eckhardts können jedem empfohlen werden:
https://www.math.uni-hamburg.de/home/eckhardt/Vortr.HTM
<https://www.math.uni-hamburg.de/home/eckhardt/Vortr.HTM>
Das Lesen des Briefwechsels zwischen dem naiven Einstein und dem kulturbeladenen Freud
hatte mich seinerzeit gelangweilt, da ist Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ lesenswerter.
Wenn ich allerdings die naive Freudsche Psychoanalyse mit den genialen Theorien Einsteins
vergleiche, dann fallen mir nur Superlative zu Gunsten Einsteins ein. Die von Eckardt
schematisierten Gegensatzpaare zu Einstein (Mathe) und Freud (Leben) sind natürlich
schief; denn Einstein war kein Mathematiker, er bediente sich ihr nur soweit wie es sein
Einfühlen und Hineindenken in die Natur erforderte. Einsteins Intuition war allerdings
grandios und so war er froh, dass er die Mathematik, die er brauchte, schon vorfand. Und
genau das ist es ja, dass Mathematiker weit voraus denken (ebenso wie die Theoretischen
Physiker, die ihnen folgen). Freud versuchte sich demgegenüber in Menschen einzufühlen und
hineinzudenken und - verlor darüber bloß viele Worte. Also hätte stehen müssen: Freud
(Mensch) vs. Einstein (Natur).
Alles ist Quantitativ! Die Anerkennung dafür, die Quantität auch in der Psychologie
ernstgenommen zu haben, gebührt Fechner, der bereits vor über 150 Jahren schrieb:
"Von vorn herein und im Allgemeinen kann nicht bestritten werden, dass das Geistige
überhaupt quantitativen Verhältnissen unterliegt. Denn nicht nur läßt sich von einer
grösseren und geringeren Stärke von Empfindungen sprechen, es giebt auch eine verschiedene
Stärke von Trieben, es giebt grössere und geringere Grade der Aufmerksamkeit, der
Lebhaftigkeit von Erinnerungs- und Phantasiebildern, der Helligkeit des Bewußtseins im
Ganzen, wie der Intensität einzelner Gedanken. ... Somit unterliegt das höhere Geistige
nicht minder als das sinnliche, die Thätigkeit des Geistes im Ganzen nicht minder als im
Einzelnen quantitativer Bestimmung“ (zitiert nach Mausfeld: "Von der Zahlenmetapher
zur Maßformel“).
Überhaupt scheint mir das 19. Jahrhundert in den Prinzipien und Grundlagen bereits alles
enthalten zu haben, was unser aller Leben seit (Ur)Großelterns Zeiten bestimmt hat:
Demokratie, Kapitalismus, Naturwissenschaft und Technik ebenso wie Imperialismus,
Kolonialismus, Rassismus und Nationalismus. Das 19. Jahrhundert gilt als das der
Wissenschaft. Werner von Siemens spricht 1886 von dem naturwissenschnaftlichen Zeitalter,
Ludwig Boltzmann im gleichen Jahr von einem
Jahrhundert der mechanischen Naturauffassung, Ernst Haeckel blickt 1899 auf ein
Jahrhundert der Naturwissenschaft zurück und Adolf von Harnack stellt den
Naturwissenschaften gleichberechtigt die Geisteswissenschaften an die Seite; (nachzulesen
bei Helmut Plote in: Schlüsselbegriffe der Philosophie des 19. Jahrhunderts).
Habermas hatte ja in "Erkenntnis und Interesse“ das empirisch-analytische und
historisch-hermeneutische Erkenntnisinteresse im emanzipatorischen Erkenntnisinteresse der
kritischen Wissenschaften zur Synthese bringen wollen. Gelungen ist das aber eher
Lorenzen, der eine kritisch reflektierte Grundlage aller Wissenschaften auch tatsächlich
ausarbeitete. D.h. mathematisches, technisches, historisches und politischen Wissen sollte
Grundlage aller Wissenschaften, auch einer nP sein!? Ich hatte meinen Bildungsweg
rückblickend genau so verstanden und profitierte von der durch Brandt auf den Weg
gebrachten Bildungsreform in der BRD. Und in den letzten 50 Jahren haben sich die
Bildungsmöglichkeiten noch einmal vervielfacht, so dass sich jeder normalsinnige
Zeitgenosse lebenslang emanzipatorisch-kritisch fortbilden könnte.
IT