Karl Janssen über PhilWeb schrieb:
Am 04.10.2022 um 19:51 schrieb Claus Zimmermann
über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Dass der Wahrnehmungsapparat die Wahrnehmung beeinflusst ist eine
Erfahrungstatsache, die ja nicht ernsthaft bestritten werden kann.
Und deshalb können wir nichts von der "wirklichen Wirklichkeit" wissen?
Sie wäre danach das, was am Anfang des Verarbeitungsprozesses steht,
also möglicherweise gar nichts wie bei Träumen oder Halluzinationen.
Das erinnert etwas an Kants "Ding an sich", nur dass es dabei nicht
um Erfahrungszusammenhänge geht, sondern um Strukturen des Erlebens
und wohl auch Denkens, die wir nicht überspringen können. (Wir können
z.B. nicht in mehr oder weniger als drei Raumdimensionen träumen,
jeder nicht geträumte physische Gegenstand ist dreidimensional, das
wissen wir schon vorher und ist deshalb nicht Inhalt, sondern Form
der Erfahrung.)
Unterschiedliche „Strukturen des Erlebens und wohl auch Denkens, die
wir nicht überspringen können“: Das ist die eigentlich zentrale
Aussage zur Begrifflichkeit von Wahrheit resp. Wirklichkeit.
Wirklichkeit zu erkennten, ist für mein Teil entscheidender als
Aussagen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts zu bewerten, unbenommen
selbstverständlich von Wahrheit im Sinne einer „Wahr/Falsch-Aussage
und seiner essentiellen Bedeutung z.B. in der technischen
Informationsverarbeitung oder eben auch Wahrheit als grundlegendes
Element für ein auf Vertrauen bauendes menschliches Miteinander.
Die Vorstellung von Wirklichkeit resp. zu Wahrheit, bezogen auf die
gegenständliche Lebenswelt versus ideell lebensweltlicher
Zusammenhänge und deren Implikationen. Letztere bergen vornehmlich das
Problem jeweils subjektiver Wahrnehmung, als genau der von Dir, Claus,
angeführten divergenten Strukturen von Erlebens- und Denkmustern, die
dann nahezu unausweichlich zur Ausbildung unterschiedlicher Inferenzen
sowie darauf bezogener Aussagen führt.
S. Hawking hat dieses Phänomen mit seinem berühmten
„Goldfisch-im-Kugelglas-Beispiel“ aufgezeigt und daraus seine These
als „model-dependent realism“ abgeleitet. Gemäß diesem
„modellabhängigen Realismus“ ist es sinnlos zu fragen, ob ein
(Denk-)Modell wirklich der Wirklichkeit entspricht, also real ist,
sondern lediglich, ob es mit der Beobachtung übereinstimmt.
Am Beispiel des Goldfischs im Kugelglas wird deutlich, dass dieser
Fisch sein Umfeld alleine deshalb schon anders wahrnimmt, weil es sich
ihm durch die Glaskrümmung anders als einem von außen darauf sehenden
Beobachter(auch wenn es ebenso ein Fisch wäre) darstellt; dennoch
haben beide Wahrnehmungenvon Realität die gleiche Gültigkeit, d.h. sie
entsprechen aus ihrer jeweiligen Sicht der Wahrheit.
Wirklichkeit im Alltagsverständnis der Menschen entspricht dem, was
augenscheinlich - somit als tatsächlich angenommen - existiert. Das
entspricht dem klassischen Realismus, demnach die wahrgenommene
Gegenständlichkeit und deren spezifische Eigentümlichkeit (etwa eine
genetisch festgelegte Farbgebung) eben diesem Wesen entsprechend
aufscheint und als solches selbstredend jeweils subjektiv rezipiert wird.
Der im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch üblicheAusdruck
benenntdiesen naiven Realismus (also dieunmittelbar bedenkenlose
Wahrnehmung des Lebensumfelds) als„Common-Sense-Realism“; damit wird
gewissermaßen die jeweils subjektive Wahrnehmung sowiederen
Interpretationvon angenommener Realität „vergemeinschaftet“. Mit
dieser ArtObjektivierung kommt man der„wirklichenWirklichkeit“ resp.
den damit verbundenen Aussagennäher, als mit der Bewertung von
Einzelaussagen.
Das entspricht dem Profilder zuletzt von mir hier benannten
Kohärenztheorie, wonacheine Aussage (die eben auf
subjektiv-rezipierende Wahrnehmung basiert) nur dann wahr ist, resp.
der wirklichen Wirklichkeit nahekommt, wenn sie mit der Gesamtheit
diesbezüglicher Aussagen übereinstimmt.
von mir jetzt aber ein ganz entschiedenes nein zu von dir, karl, oben
geschriebenem, denn damit wirfst du die gesamte historische und
bis-jetzt philosophie über "die wahrheit der wirklichkeit" über bord !
Ich denke schon, dass man mit hinreichend
pragmatischem Herangehen an
Lebenswirklichkeit eine brauchbare Methode zum Umgang mit dem
Wahrheitsbegriff (Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Ethik), vor allem aber
einen lebenspraktischen Zugang zur gemeinschaftlich wahrgenommenen
Wirklichkeit eines jeweiligenLebensumfelds entwickeln kann. Unter
diesem Gesichtspunkt verlieren sich die Implikationen hitziger Dispute
zu allen möglichen Theorien und Thesen, wie etwa dem radikalen
Konstruktivismus.
der rad.k. bestreitet ja garnicht die pragmatische (alltägliche)
auffassung von wirklichkeit, und dem umgang damit, denn wir alle müssen
ja überlebensfähig bleiben, er macht quasi nur die tür zur erkenntnis
auf, hinter der sich erweist, dass die dinge nicht so sind, nicht so
sein können, wie sie vorderhand scheinen, indem er bruchstellen zwischen
der von uns allen geglaubten wirklickeit und einer "wirklichen
wirklichkeit" aufzeigt.
mir ist es unverständlich, wieso das auf derart massive ablehnung stößt,
obwohl die meisten schlussfolgerungen (und damit auch implikationen) des
rad.k. ganz simpel sind, und zudem auf der hand liegen?
natürlich verändert sich damit unser welterleben (es wird lege-artis
erweitert), und unsere philosophien darüber verändern sich mit = die
pfade nehmen eine andere richtung, aber was spricht dagegen?,
die "lebende" philosophie hat mit neuen sozialen usw epochen doch schon
immer und zwangsläufig auch sich selbst gewandelt (nur die alte, im
prinzip philosophie-geschichte, kaute schon immer auf den
alten knochen herum, und hielt diese deshalb in ehren und ansehen, zb
eben den platonismus, und nichts spricht dagegen, wenn das alte als
historie, als altes, abgelegtes auch begriffen wird)
insofern kann es nicht ernstgemeint sein, wenn hier rad.k. gegen
platonis/mus/men antreten soll, zumal der rad.k. die platonismen als
"untergruppe einer naiven wirklichkeitsaufassung" mit enthält
Davon unbenommen bleiben jedoch philosophische
Betrachtungen, was
wirkliche Wirklichkeit bedeutet:siekann eigentlich nur Inbegriff des
Ewigen, Unveränderlichen, somit das absolut optimierte EINE als
kosmisches Grundprinzip sein.
Nichts anderes drückt sich in Platons Ideen aus.
aha, um uns dann zum platonismus zu bekehren, der seit nunmehr 800
jahren, ausgang der scholastik mit damaliger einigung auf den
nominalismus (und eben nicht auf den platonischen universalismus),
vom tisch sein sollte, das ist lange her, aber soweit waren wir schon -
das heutige, moderne problem seit ca 200 jahren, vor ca 100 jahren ganz
krass sichtbar werdend, ist, dass der nominalismus auch nicht
mehr trägt, und wir eher zu einer "weichen semantischen weltauffassung"
-zurückkehren- müssen, dabei den alten platonismus aber vermeidend,
woraus "geborene" platonisten natürlich jetzt ihr süppchen zu
kochen versuchen ("wir habens ja immer gewusst", "platon hatte doch
recht", usw)
die diskrepanz zwischen platonismus und moderner "semantische
weltauffassung an einem beispiel zu verdeutlichen:
im platonismus ist/war jeder reale apfel mit apfeleigenschaften "ein
gleichnis" für den ur-apfel mit allen jemals möglichen
apfeleigenschaften aufgeladen zusammen, was semiotisch gleichbedeutend
ist mit,
der platonische urapfel, aus dem alle realen äpfel abgeleitet sind,
ausfließen, ist eigenschaften/frei/los
moderne vorstellung: ein apfel ist eine raumzeitlich "gleichzeitörtlich"
stattfindende summe von eigenschaften, apfel = summe{eigenschaften =
schwer, rot, sauer, knackig, usw}, und die unterschiedlichen
äpfel zusammengenommen lassen dann hirnverursachte autopoiesen zu, zb
"äpfel allgemein", "äpfel = obst" usw - und die aussage: ein
eigenschaftenloser urapfel ist nichtmal denkbar, denn auch unser denken
erfolgt stets "in eigenschaften", ebenso das nur-träumen von etwas
---
PS: aktuell zur geopolitischen Situation: Wahrheit und
Lüge; Wer
bewusst lügt, legt mit jeder Lüge einen weiteren Fallstrick auf ein
anwachsendes „Lügengewebe“, in dem er sich kurz oder lang selbst
verfängt. Hier braucht es wahrlich kein Gebot des Dekalogs, um den
Lebensvorteil von Wahrheit zu erkennen und in dementsprechendem
Handeln umzusetzen.
es soll ja "spinnen" geben, und diese, entgegen jeder naiven erwartung,
verfangen sich keineswegs in ihren eigenen netzen, obwohl diese mitunter
durchaus komplex gesponnen sind, sodass man als mensch
leicht den eindruck hat "völlig chaotisch", ist aber eben nicht, die
"doofen" unter den spinnen dürften die radnetzspinnen sein, denn sich in
solcher konstruktion zurecht zu finden, vermag selbst ein dussel.
der dekalog fällt für mich zusammen im "du sollst nicht töten", sodass
man alle anderen gebote im grund vergessen kann, oder den "deka" zum
1001-log erweitern müsste, denn ich (will) dieses eine gebot
verstehen als:
du sollst nichts anderes töten, aber auch nicht teile deiner eigenen
seele, indem du beliebiges "begehst, machst, oder verbrichst", das deine
eigene seele beschädigt = deshalb meine momentane lebensphilosophie
(vielleicht auch das nicht meiner "weisheit letzter schluss"?): =
"neutrale (unbeteiligte) sympathie" allem gegenüber (das heißt auch,
lieben oder hassen ist schon zuviel, da übergriffig)
wh.
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