Lieber Karl,
die von Dir angesprochene Frage, wie sich Geistiges (oder wie immer man es nennen mag)
beim Übergang von Hominiden zum Homo sapiens entwickelt haben mag ein paar weitere
Gedanken dazu, was unter Geist zu verstehen ist (z. B. Information), und wie sich aus
Sicht eines Vertreters der sogenannten philosophischen Anthropologie, Helmuth Plessners
diese Entwicklung vollzogen haben mag.
Hier mein Text, eher in Tagebuchform geschrieben, und übermittelt mit dem Wunsch nach
weiterer Diskussion mit allen - auch den von mir sehr geschätzten Mathematik- und
Phyisk-Affinen in dieser Runde!
Liebe Grüße
Thomas
Zum Thema Sprache / Sprechen / Zählen / Zeichen: Wörter, Zeichen und Zahlen werden, wenn
vernommen, verstanden und in ein jeweiliges Verständnis eingegliedert. Im jeweiligen
Verstehen ist die Perspektive des Verstehenden stillschweigend enthalten. Eine bloße Zahl
kann für den, der sie vernimmt daher ganz anderes bedeuten, in einen ganz anderen Bezug
gebracht werden als für einen anderen. Bei Zahlen- und algebraischen Systemen ist zudem
ein wechselseitiges „Verstehen“ im Sinn des sinnhaft zueinander Passens vorausgesetzt. Das
gleiche gilt für Wortsysteme: die Wörter „verstehen“ einander, und wir greifen im eigenen
Verstehen der Wortfolgen außer den Wörtern auch deren wechselseitiges Verstehen mit auf,
und betten sie nicht nur als Einzelne, sondern auch als binnenbezogenes Geflecht in unser
Verständnis ein.
So sind Wörter und Zahlen Akteure, die selbst eine Perspektive aufeinander einbringen. Sie
sind, indem sie diese Perspektive in sich enthalten und entfalten mehr als bloße Linien,
die auf bestimmte Weise angeordnet sind. Ihre Aufnahme ist mehr als aktionslose
Reproduktion, etwa als Wiederspiegelung. Auch als Aufgenommene bleiben die Wörter und
Zahlen Akteure.
Die Aktionen von Wörtern und Zahlen entspringen einem den Moment überdauernden Grund, der
- in Speicherform - ihre wieder und wieder in neuen Zusammenhängen erfolgende
Realisierung als Revitalisierung ermöglicht.
09.11.23
Semantische Systeme bestehen aus ansprechbaren Binnenkohärenzen. Ein mathematisch
formuliertes System weist die stärkste denkbare Binnenkohärenz auf. Es ist ansprechbar,
indem es von uns angesprochen und verstanden wird. Es spiegelt solche Formen des
Zusammengehens wider, die in jedwedem Kontext und in jedweder Perspektive, aus der sie
angesprochen und verstanden werden gleich und faktisch kontextunabhängig bestehen
bleiben.
Informieren bedeutet, sich wechselseitig über die mitteilbare Aspekte der Binnenkohärenzen
in Kenntnis zu setzen. Dieses Informiert-Werden, dies Kenntnisnahme geschieht in actu, im
geformten Handeln und als kohärent geformtes Handeln.
Der formbezogene, darin mitteilbare und zu vergemeinschaftende, zu verallgemeinernde
Aspekt dieses informierten und informierenden Handelns kann von uns Menschen abgehoben und
als Gesondertes bedacht werden. Als Information ist er dem jeweiligen Handeln innewohnend,
als gesonderter Fokus unseres menschlichen Handelns ist er denkendes, geistiges Handeln.
Auch dieses ist dem leiblichen Handeln innewohnend, aber wir Menschen können einen dem
Leiblichen graduell entkoppelten „Standpunkt“ einnehmen, und aus dessen Perspektive
„denken“. Diesen Standpunkt hat der Biologe und Husserl-Schüler Helmuth Plessner als
exzentrisch bezeichnet. Lebewesen seien dadurch gekennzeichnet, dass ihre stoffliche
Grenze mehr zu ihnen gehört, sie auf zusätzliche Weise ihrem binnenkohärenten Handeln
unterworfen sei, als dies bei unbelebten Systemen der Fall sei. Sie seien zentrisch
organisiert, in dem Sinn, als die Binnenkohärenz alles Vorgehen umgreifend sei – hier
passt am besten das Bild eines Kohärenz-stiftenden semantischen Zentrums. Das trifft auch
für den Menschen zu, nur ist es ihm dank besonderer Handlungsformen möglich, ein Stück
weit von der Unbedingtheit dieser Kohärenzstiftung abzuweichen, und zu ihr in ein
distanziertes Verhältnis zu treten, was wiederum die Kohärenzstiftung als solche in den
Blick geraten lässt.
Das ergibt unter anderem ein sprachlich oder algebraisch oder numerisch kategorisierendes
Denken. Dieses betrachtet Kohärenzstiftung im Einzelnen und als solche, und hebt damit den
Informations- alias Geist-Aspekt heraus, es ist „geistig“, ohne dass behauptet würde,
Kohärenzstiftung sei ein Privileg nur des Menschen. Kohärieren und damit Information und
wechselseitiges Informieren wohnt tatsächlich allem inne, das wir überhaupt als
Identisches erfassen können.
Am 09.11.2023 um 03:34 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 08.11.2023 um 16:35 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
...
Doch, Ingo hat ja Mathematik an Stelle des Geistes, hast du das überlesen?
Der Mensch als geistiges Wesen, dem Tier
entwachsen, was hat ihn dazu gebracht? Schlichtweg nur Evolution im darwinschen Sinn? Hast
Du eine Antwort bezüglich dieses sog. „Missing Link“? Ich denke nicht, sonst hätten wir
sie alle!
Das ist eine gute Frage. Es gibt sehr viele Missing Links, so viele wie
es unvollständigen Beschreibungen gibt. Warum denn sonst kam Platon auf seine Ideen? Er
war unzufrieden war mit dem unendlichen Suchen nach dem Anfang. Als er den Geist annahm,
für ihn die Ideen, brauchte er nicht mehr weiter in die Vergangenheit zu suchen. Für Ingo
ist es vielleicht die Mathematik. Die Missing Links gibt für uns alle, nehme ich an. Haben
diejenigen, die sich als geistige Wesen sehen, unendlich weniger Missing Links vor sich
als die anderen, die sich nicht als solche sehen oder sehen können? Am Anfang, am Ende,
und davon viel mehr noch in der Mitte?
Natürlich gibt es viele, womöglich zu viele „Missing Links“ , vor allem im
Verständnisvermögen von Menschen.
Ich bezog mich mit diesem Begriff auf den bislang nicht erklärbaren Entwicklungssprung
vom Affen zum Hominiden, wobei dieser Übergang eher nicht sprunghaft, sondern über beiden
Spezies gemeinsame Vorfahren erfolgte. Anthropologische Überlegung wollte ich nun hier
nicht auch noch anfachen, sondern lediglich die Frage aufwerfen, wie man beim Übergang vom
Tier zum Menschen, sich dessen Entwicklung von einem ausschließlich instinktgesteuerten
hin zu einem von bewusst prozessualen Gehirnfunktionen gesteuerten Wesen vorzustellen
hat.
Unbenommen unzähliger Erklärungen, ist nach meiner Vorstellung der Nahrungswechsel des
frühen Menschen hin zu mehr eiweißreicher Nahrung entscheidend für das Anwachsen des
Gehirnvolumens, insbes. der deutlichen Ausprägung des Frontalhirns und damit eine
wesentlich verstärkte Denkleistung und so auch der Beginn eines signifikant geistig
bestimmten kulturellen Lebens.
Wir können hier im Rahmen dieses Austauschs unmöglich alle Aspekte der Ontogenese
erörtern, was auch nicht erforderlich ist, da diesbezügliches Wissen heutzutage in
beliebig verfügbaren Quellen des Internets zu erwerben ist.
Im Zusammenhang meiner Ausführung zu Geist und Materie, fragst Du, warum Platon au seine
Ideen kam. Nun weil er sich zu seiner Zeit schon in einer wesentlichen fortentwickelten
Phase der Ontogenese befand und demzufolge über ein hochentwickeltes Gehirn verfügen
konnte, das ihm durch Denken entsprechende Ideen aufkommen ließ. Dabei werden Intuition
und Inspiration bereits eine Rolle gespielt haben. Vor allem Letztere schließt genau an
unser in den jüngsten Beiträgen hier thematisiert worden: Inspiration als extrinsische
Beseelung durch Geist.
Wer nun von mir verlangt, ich solle bzw. könne nicht auf die Begrifflichkeit von Geist
abheben, ohne für die Annahme seiner Existenz eine empirisch fassbare Erklärung zu geben,
den kann ich nur auf unzählige Quellen verweisen, um mir nicht zum Überdruss wiederholt
hier realitätsfremden Hang zum Mythos usw. anhängen zu lassen. Eigentlich will ich's
nicht glauben, dass aufgeklärte, gebildete Menschen überhaupt Zweifel am Vorhandensein von
Geist haben können.
Mittlerweile bin ich es hier so leid, mich mit all diesen Wortverdrehungen, aberwitzigen
Zuschreibungen auseinander zu setzen.
Wie etwa Info T. mir zuschreibt, Ignorant zu sein, weil ich angeblich entsprechende
Zusammenhänge der QM nicht nachvollziehen kann. Nie habe ich behauptet, Photonen seien
geistig, allenfalls sind sie Träger des Geistes (im übertragenen Sinn), konkret sind sie
Träger von Information, wie Zeilinger das nachgewiesen hat, unbenommen des Phänomens der
Nichtlokalität.
Wie kann man sich Informationsübertragung durch Photonen vorstellen? In Analogie zu Daten
binärer Logik mit den Zuständen von 1/0 und daraus beliebig gebildeten Folgen zur
Informationsverarbeitung, bzw. - übertragung, könnte man den Spin von Photonen zirkular,
ggf. auch linear polarisieren und damit, trotz nicht vorhandener Ruhemasse, Information im
Lichtstrahl übertragen.
Da würde ich hier einige geistig (sic!) überfordern, wollte ich damit nun noch Phänomene
der Nichtlokalität oder gar Sheldrakes morphische Felder in Verbindung bringen. Man kann
mit Sicherheit davon ausgehen, dass viele in diesem Zusammenhang stehende Fragen noch
offen sind und es somit zwecklos ist, sich darüber in dementsprechenden Disputen zu
verlieren. Dennoch ist es interessant, darüber nachzudenken oder einfach auch nur mal
darüber zu spekulieren. Wenn es aber immer wieder in Gehacke, Pedanterie und
Besserwisserei ausartet, verliert man die Lust daran und so schlage ich vor, jeder solle
sich diesbezügliche Gedanken künftig selbst anstellen.
Karl
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