Am 19.08.2019 um 22:42 schrieb Rainer Alisch:
Sorry Karl, für meinen Pessimismus - It’s the
thermodynamics, stupid!
Siehe beiliegend
Am 19.08.2019 um 22:09 schrieb Karl Janssen via
Philweb
<philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
[Philweb]
„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein ...“ (Auch
ein Lied aus der Jugendzeit)
Jedenfalls: ein Hoch auf die Zukunft!
Mein utopisches „Ein hoch auf die Zukunft“ hat Dich, Rainer, vermutlich
dazu gebracht, Niko Paechs Aufsatz (taz:
https://taz.de/Nachhaltigkeit-und-Klimapolitik/!5609132/) hier zu
zitieren. (/Keine Attachments gehen hier durch/; ja stimmt, für philweb
hatten wir Teilnehmer uns schon von Anfang an entschlossen, uns nur rein
"textlich" ohne Attachments etc. auszutauschen. Die Vorteile liegen auf
der Hand, wenn man sich die Foren-Welt im iNet ansieht).
Beim Lesen des Artikels wurde mir sogleich Ingo Tessmann‘s Aussage
lebendig vor Augen geführt: "Was ihnen (den Aufbegehrenden) heute aber
fehlt, ist die Theorie zur Sozialutopie".
Sozialutopie sehe ich vornehmlich bei den politischen "Urhebern" des
jugendlichen Aufbegehrens und das bewirkt meine große Enttäuschung
diesem Bündnis gegenüber: Warum auch immer hat man dort den genuin
ökologischen Themenkomplex (nicht ideologisch sondern konkret)
vernachlässigt und sich zunehmend gesellschaftspolitischen Themen
zugewandt, allesamt herüber gezogen vom eigentlich ungeliebten
US-Giganten (pc, gender roles, feminism usf.) und diese nahezu als
Doktrin medienwirksam derart in den gesellschaftlichen Alltag etabliert,
dass selbst robust handlungsorientierte Zeitgenossen sich dadurch
irritiert fühlen („das darf man ja heute nicht mehr sagen“ usw.).
Personenbezogen sehe ich Protagonisten dieser „grünen Seifenblase“
mehrheitlich als einem neuen „Pfaffentum“ zugehörig (wie hier schon
geschrieben): Wasser predigen, selbst Wein saufen.
Doppelmoral eben wie sie Peach beschreibt: „Dieses Dilemma kulminiert in
einer Doppelmoral, die längst zum Normalzustand geronnen ist. Einerseits
dröhnt ein unüberhörbarer Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsfuror,
andererseits wird mit Zähnen und Klauen eine digitale, kosmopolitische
und konsumorientierte Lebensform verteidigt, die ökologisch suizidaler
nicht sein könnte. […] Um diese Widersprüchlichkeit zu verarbeiten, hat
sich im Zusammenspiel zwischen gesellschaftlicher Mehrheit und
Politikvertretern ein Zustand stabilisiert, der dem katholischen
Ablasshandel ähnelt.“
Konkret: Volksbegehren zum Bienenschutz unterschreiben (klar, wer wollte
die Tierchen denn nicht auch schützen?!); zur Abstimmung eben mit dem
SUV (den braucht man, um die Kids sicher zur Kita, zur Schule, zum
Fußballturnier, zum Flöten- oder Reitunterricht bringen zu können –
Göttergatte fährt umweltgerecht mit ÖV zur Arbeit). Apropos Göttergatte
- den (nurmehr als Samenspender Herabgewürdigten) kann/sollte man
künftig aus dem Spiel lassen.
(wenn wir schon dabei sind, Medienartikel zu zitieren):
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/schwangerwerdenkoennen-schwangersch…
„Kinderkriegen ist Privatsache? Vielleicht als die klassische Ehe die
Norm war. Aber neue Beziehungsentwürfe müssen neue Diskussionen auslösen
- nicht zuletzt über Vaterschaft, findet die Politologin Antje Schrupp. „
Forum dazu (mit wohltuend tröstlichen Beiträgen vernunftbegabter
Foristen):
https://www.spiegel.de/forum/kultur/schwangerschaft-im-sozialen-wandel-eine…
„Schwangerschaft als Dienstleistung für andere [...] Eine Frau soll
keinen Mann brauchen müssen, um ein Kind zu gebären." Abgesehen von
solch irrlichternder Formulierung: Wer, außer (eben) diesen – ohnehin
für alle klassischen Gesellschafts- und Lebensformen verlorenen -
SozialutopistInnen, jemals etwas von Entwicklungspsychologie gehört oder
gar zu verstehen geglaubt hat, wer jemals fundamental vermittelte Liebe
und Fürsorge beider Elternteile erfahren durfte, den müsste angesichts
solch kruder Anwandlungen (dieser kinderlosen Politikwissenschaftlerin
samt FollowerInnen) das pure Grausen erfassen.
Solchermaßen entartete Gesellschaftsmodelle zu entwerfen oder auch nur
anzudenken, mutet ebenso schauerlich an, wie die uns jetzt bekannten,
zutiefst verstörenden Klimamodelle sowie die Dokumente desaströser
Verwüstung unserer Ökosphäre.
Erstere stimmen mich mehr ärgerlich als pessimistisch (obgleich Ausdruck
gesellschaftlicher Dekadenz, kann diese beschränkte, ausgesprochen
egozentrische Sichtweise nur temporäre Zeiterscheinung sein).
Letztere müssen pessimistisch stimmen, doch bei derartiger Stimmungslage
dürfen wir nicht verharren. Was also tun?
Kant als stets aktuelle Richtschnur?
„Was kann ich wissen“ muss dazu führen: Wir, als ihr Umfeld
wahrnehmende Teilnehmer einer alles durchdringenden
Informationsgesellschaft können um den kritischen Zustand unserer
Lebenswelt wissen. Und dieses Wissen verpflichtet! Fraglich dabei ist,
wie weit der Einzelne dieser Verpflichtung nachkommt bzw. überhaupt
nachkommen kann. Das führt weiter zum: „Was soll ich tun“. Angesichts
der dramatischen Umweltproblematik wird „sollen“ zum „müssen“.
Wiederum in Anlehnung an Peach bedeutet das nach dem Platzen der „grünen
Seifenblase“ die in seinem Aufsatz trefflich beschriebenen, für die
Umwelt schädlichen Praktiken unserer individuellen Lebensführung (im
Sinne persönlich umweltverträglichen Handelns) zu hinterfragen und zu
korrigieren.
Sollte tatsächlich ein kritischer Dialog - glaubwürdig und wirksam - von
Personen initiiert werden, woraus tatsächlich ein wirksames Umsteuern
einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit erfolgt (ggf. auch durch
-vernünftig- politische Steuerung gestützt), dann kann man berechtigt
fragen: „Was darf ich hoffen?“ Nämlich, dass mehrheitlich auch der
klare Vorteil bewusster Einschränkung von Konsum, von Informations- und
Umwerbungsflut, schlichtweg der persönliche Gewinn durch das "Abwerfen
von Ballast" wahrgenommen wird.
Bleibt noch die Frage: „Was ist der Mensch?“ Verbleibt er i.W. als das
Herdentier (zoon politikon) mit seinen archaisch angelegten
Bindungskräften, mit seinen Verlustängsten etc., so wird es auf eine
starke, umsetzungsfähige politische Führung ankommen. Eine Führung mit
klarer, wirtschaftlich und sozial realisierbarer Zielsetzung. Das ist -
mit Verlaub - von der augenblicklich agierenden Politik gänzlich nicht
zu erwarten. Eine Politik, teils als „Basta-Politik“ verschrien, wie man
sie Schröder zuschrieb und von seiner Nachfolgerin ebenso (nur teils
subtiler, teils unverblümt) betrieben wurde und wird: bürgerferne
Politik, in „Hinterzimmern“ zwischen Vertrauten ausgehandelt, auf
weltweiten Gipfelveranstaltungen mit nicht zu übertreffender Jovialität
medienwirksam verkauft. Es sollte nicht verwundern, dass sich angesichts
dieses elitär abgehobenen, unvermittelten Politikstils radikale
Gruppierungen an den politischen Rändern bilden, deren Machenschaften
man nicht mehr Herr zu werden scheint. Die sog. schweigende Mehrheit
sich derweilen einer – durch eben diese Politik herbeigeführte
gesellschaftliche Spaltung (wiederum dem verhasst wie bewunderten
transatlantischen „Vorbild“ nachkommend) ergibt.
Führung also des „Herdentiers“ durch die vorherrschende Politik? Eher
nicht! Die Gesellschaft (solchermaßen als Herde „geführt“) wird nicht
die hinreichende Dynamik zu den angesprochen notwendigen Veränderungen
entwickeln. Wenn es (derzeit erwartungsgemäß) der Politik also nicht
gelingt, radikal neue Wege zu entwerfen, mit hergebrachten Mustern zu
brechen, um den erforderlichen strukturellen (volkswirtschaftlichen und
gesellschaftlichen) Umbruch herbeizuführen, so kann es nur der Einzelne
als emanzipiertes Mitglied der Gesellschaft sein, der sich (nach Kant
seines eigenen Verstandes bedienend) der katastrophalen Misere unseres
Ökosystems bewusst wird und sein Handeln danach ausrichtet.
Individuell verändertes Umweltverhalten könnte sich dann positiv für
einige Weltregionen auswirken, niemals jedoch in absehbarer Zeit dort,
wo Umweltbewusstsein u.a. aufgrund fehlender (Aus)Bildung und sonstiger
Mangel/Misswirtschaft nicht zu vermitteln ist. In summa wird es
vermutlich nicht reichen, um „die Welt zu retten“.
Aber welche (Lebens)Welt wollen wir retten? Nicht doch etwa die, die wir
- jetzt beklagend – solchermaßen zuschanden gerichtet haben!
Es wird wohl einen (wie bereits hier geschrieben) für die Welt
wohltuenden „Reset“ geben. Das lässt mich an die biblische Geschichte
der Arche Noah denken, jedoch nicht apokalyptisch als
Weltuntergangsszenario; sie lässt mich vielmehr annehmen, dass
hochgradig urbane Bereiche buchstäblich „geflutet“, rurale Regionen
hingegen hinreichend Überlebensräume bieten werden Dann gilt: „Neues
Spiel, neues Glück“. Neue Ordnungsmuster, ohne die „Altlast
übersteigerten Ordnungsfetischismus, ohne sklerotisierende Routine, ohne
Überfluss und Überdruss. Neue Wege vom Ich zum Wir - oder doch wieder
Unglück für jeweils Milliarden jammernde Egos?
Denn auch dann wird Entropie wiederum Gradmesser für sich entfaltende
Unordnung sein, wo Menschen, ihren Lebensraum gestaltend,
notwendigerweise „Umwelt“ verbrauchen, um darin eine gewisse Zeit
bestehen zu können (It’s the thermodynamics, stupid!).
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl