Am 26.05.2021 um 20:46 schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Die würde ich gerne lesen, vielleicht hast du ja schon angefangen damit. Mir geht es
jedoch hauptsächlich um eine gute Referenz, eine hatte ich gefunden, die aber nicht so gut
wie eine zweite ist, die ich aber noch nicht als Text vorliegen habe. Es sind bei mir
viele Fragen offen, etwa ob es sinnvoll ist, einer Gruppe zu nutzen, die in Richtung
Abgrund geht, wenn man Teil dieser Gruppe ist. Ich denke viel einfacher als der
Durchschnitt hier. Wenn du das Kapital gelesen hast, weißt du, dass Marx auch eher einfach
dachte, alles immer wiederholte, so dass das Buch auf 50 Seiten reduziert werden könnte.
Ich enthalte mich weiterer Kommentare, und doch kann bzw. muss nur sagen, dass ich keines
der üblichen ökonomisch-politischen bzw. weltanschaulichen Systeme voranstelle, und nicht
alle Wörter, Sätze und Texte nutze bzw. zitiere.
Hi JH,
möglichst wenig voraussetzen wollten ja auch die methodischen Konstruktivisten. Deshalb
ging ich in den 1970ern, wie zuvor schon im Hegel-Seminar, auch im Marx-Seminar
methodisch-konstruktiv vor, um die jeweilige dialektische Begriffsgymnastik verständlich
zu rekonstruieren. Und natürlich hätte Marx sich kürzer fassen müssen und anstatt der
Hegelschen Dialektik der matematischen Physik folgen sollen, wie es die klassischen
Ökonomen taten, die sich an der Thermodynamik orientierten. Seinem kritischen Impetus
hätte das keineswegs Abbruch getan. Im Gegenteil, er wäre ernster genommen und weniger
missverstanden worden. Hegel war während der Studienzeit Marxens in Berlin noch groß in
Mode, aber genau das hätte ihn doch skeptisch stimmen müssen!?
Der Ökonophysiker Reiner Kümmel kritisiert Marx in: "Energie und Wirtschaftswachstum,
oder: Wie Arbeitslosigkeit und Umweltbelastungen vermindert werden konnen“, wie folgt:
"Hätte Karl Marx das völlig Neue erkannt, das mit der Dampfmaschine in die Welt
gekommen war, hätte er gesehen, dass der Mehrwert in der Produktionssphäre durch
Ausbeutung von Energiequellen statt Ausbeutung von Menschen erzeugt werden kann. Der
Gesellschaft wäre die Theorie von der Verelendung der Massen im Kapitalismus und dessen
zwangsläufigem Zusammenbruch erspart geblieben, und statt den gescheiterten Versuch zur
Errichtung einer Diktatur des Proletariats zu erleiden, hätten die Menschen in den ehemals
sozialistischen Ländern, wie ihre glücklicheren Zeitgenossen in den marktwirtschaftlichen
Demokratien, an dem aus den Energiequellen kreativ geschöpften Mehrwert partizipieren
können. Das tragische Nichtverstehen des industriellen Produktionsprozesses durch den
Sozialismus zeigt sich symbolhaft auch darin, dass Hammer und Sichel, die Werkzeuge der
Handwerker und Bauern der vergangenen Agrarepoche, die Staatsflagge der zweitmächtigsten
Industrienation der Erde auf ihren Weg in den ökonomischen Kollaps geziert hatten.“
Wärmekraftmaschinen generieren ihre Arbeit aus einer Temperaturdifferezenz und der
Kapitalismus generiert den Wohlstand aus der Wertdifferenz. Marx hatte es ja richtig
gesehen; denn wo immer eine Wertdierenz existiert, kann Profit erzielt werden. Das treibt
den Kapitalismus durch Ausbeutung. Aber heute sind nicht mehr die Arbeiter Sklaven,
sondern auch jeder Arbeiter in den Industriestaaten nutzt die Annehmlichkeiten vieler
„Energiesklaven“, wie H.P. Dürr unsere Energienutzung personifizierte, indem er den
menschlichen Ruheumsatz mit 100 W auch für jeden Energiesklaven annahm. Das macht 876 kWh
im Jahr und je nach Lebensstil kommen wir auf einige bis viele Dutzend „Sklaven", die
wir für uns arbeiten lassen.
Es bleibt die Frage, wie Energie- und Wertdifferenzen genauer zusammenhängen und wie
womöglich auf alle Werte verallgemeinert werden können. Für den von mir hier in der Runde
schon einmal ins Spiel gebrachten Biophysiker Arto Annila treibt der Ausgleich von
Energiedifferenzen die Evolution schlechthin, wobei dem Licht eine besonderer Bedeutung
zukommt (siehe sein Buch „Back to Reality“). Dabei bedient Arto sich selbstredend
ausgiebig der Mathematik und das hätte Marx zu seiner Zeit auch schon tun können - und
sollen. Also JH: Was sollen die vielen Wörter, Sätze und Texte, wenn sie keine Formalismen
kommentieren?
IT