Am 8. März 2024 15:15:06 MEZ schrieb "Ingo Tessmann über PhilWeb"
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 07.03.2024 um 21:34 schrieb Claus Zimmermann
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Dass man zu einer Theorie nicht nur durch Verallgemeinerung, sondern auch durch Intuition
kommt, kann ja sein. Aber bei den Beobachtungen, die die Ausgangspunkte der Theorien sind
- z.B. das Michelson-Morley-Experiment oder das Doppelspaltexperiment - geht man doch nach
eingehender Prüfung ganz induktiv davon aus, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. So
wie es ja auch der Lebenspraxis entspricht und entsprechen muss.
Der Schluss vom Besonderen aufs Allgemeine und dann vom Rauch aufs Feuer und umgekehrt
ist zwar nicht zwingend (das ist wohl der Punkt, um den es Hume ging), aber unverzichtbar,
wenn man sich im Alltag zurechtfinden will, von der Lösung von Kriminalfällen ganz zu
schweigen. Durch deduktive Schlüsse erfährt man ja nichts über seine eigenen
Voraussetzungen hinaus.
Moin Claus,
Beobachtungen sind Ausgangspunkte der unzähligen speziellen konstruktiven Theorien der
Experimentatoren. Interessanter sowie weitreichend gültiger und genauer sind die
Prinziptheorien der Theoretiker. In seiner Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“
ging Einstein 1905 nicht vom Michelson-Morley-Experiment aus, sondern reformulierte die
Elektrodynamik aus dem Relativitätsprinzip heraus. Das von Young 1802 durchgeführte
Doppelspaltexperiment diente nicht als Ausgang, sondern als Bestätigung der Wellentheorie
des Lichts. Und Kirchhoff fand 1859 aufgrund thermodynamischer Prinzipien, dass die
Strahlungsleistung eines schwarzen Körpers allein von der Frequenz und der absoluten
Temperatur abhänge und wies bereits darauf hin, dass die genaue Messung des Zusammenhangs
von fundamentaler Bedeutung wäre.
Nehmen wir an, Physiker gehen bei ihren Theorien nicht von Erfahrungen, sondern von
erahnten Prinzipien aus. Müsste nicht die Erfahrung zeigen, wie weit sie damit kommen,
wenn die Prinzipien kein Selbstzweck sein, sondern etwas mit der Erfahrung zu tun haben
sollen, indem sie z.B. nachprüfbar zutreffende Rückschlüsse und Prognosen ermöglichen?
Deduktiv kann man das Ergebnis ausrechnen, wenn man von bestimmten Werten ausgeht. Dann
müsste man das Ergebnis mit den Tatsachen vergleichen. Dann das Ganze sicherheitshalber
ein paarmal wiederholen, auch mit anderen Werten, bis man irgendwann sagt: jetzt verlassen
wir uns darauf, jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils! Schleicht sich da nicht doch
wieder bei der praktischen Anwendung unvermeidlich die Induktion ein? Anders als in der
Logik oder Mathematik, wo es nur um Formen ohne Inhalte geht? So dass Hume mit seinem
"ihr wisst gar nichts, ausser dem, was ihr euch ausgedacht habt" (den
allgemeinen Begriffen, aus denen bestimmtes auch für den darunter subsumierbaren
Einzelfall abgeleitet werden kann) doch recht behielte?
„Der Schluss vom Besonderen aufs Allgemeine und dann
vom Rauch aufs Feuer und umgekehrt“ ist alltäglich und ich zähle ihn (mit Hume) zu den
Gewohnheiten oder Vorurteilen, die es in der Wissenschaft zu überwinden gilt. „Durch
deduktive Schlüsse erfährt man ja nichts über seine eigenen Voraussetzungen hinaus.“ Das
gilt für die wenigen angenommenen Prinzipien, nicht aber für die unzähligen Folgerungen,
die als Neuerungen echte Wissensfortschritte darstellen, wie bspw. die Proportionalität
von Energie und Frequenz eines Lichtkomplexes, die Energie-Massen-Äquivalenz,
Zeitdilatation und Längenkontraktion in der Relat. Theorie oder Antimaterie,
Verschränkung, Quantenkryptographie, Quantencomputing in der Quantentheorie.
Dass jeden Tag die Sonne aufgeht, steht ein- für allemal fest, wenn der Sonnenaufgang zum
Begriff des Tags gehören soll, man darunter etwa die Zeitspanne zwischen zwei
Sonnenaufgängen verstehen möchte. Dann ist mit "Tag" auch
"Sonnenaufgang" gesagt und kann daraus abgeleitet werden, weil es über die
eigenen Voraussetzungen nicht hinaus geht.
Wenn man Tage dagegen mit der Uhr misst, geht die Aussage über unsere eigenen
Voraussetzungen hinaus, steht nicht ein- für allemal fest, ist aber auch insofern
interessanter, als wir nicht nur um uns selbst kreisen. (Natürlich steht die Zukunft auch
im ersten Fall nicht fest, nur die Beschreibungen würden sich u.U. unterscheiden.)
Eine dritte Möglichkeit scheint es mir nicht zu geben. Entweder es handelt sich um ein
Begriffsmerkmal oder eine sonstige Eigenkonstruktion wie ein Axiom oder nicht.
Es könnte aber sein, vielleicht meinst du das, dass man durch Deduktion etwas
herausfindet, was in den eigenen Voraussetzungen lag, ohne dass es einem aufgefallen ist.
Wir gehen z. B. von einer bestimmten Beziehung zwischen bestimmten Grössen aus, die
vielleicht definitionsgemäss mit anderen Grössen zusammenhängen und können durch Hin- und
Herwenden und Umformen der Ausdrücke herausfinden, dass dann auch andere interessante
Beziehungen gelten, die natürlich mit den Voraussetzungen, von denen man ausgegangen ist,
stehen und fallen.
So könnte ich mir deduktive Schlüsse vorstellen, durch die man etwas dazulernt, ohne über
die eigenen Voraussetzungen hinauszugehen.
In der Entwicklung der Elektro- und Thermodynamik wäre es interessant, einmal die
Bedeutung der Romantik hinsichtlich des Energiesatzes und des Zusammenhangs der
elektrischen und magnetischen Phänomene herauszuarbeiten. Die Einbeziehung des
Energiesatzes ermöglichte Maxwell ihre Vereinigung mit der Folge des Nachweises, dass
Licht eine elmag. Welle sein müsse. Auch Heisenberg gelang der Durchbruch zur
Matrizenmechanik erst durch Anwendung des Energiesatzes auf die Zustandsänderungen. Und
Pauli wies hinsichtlich des Energieerhalts im radioaktiven Zerfall das Neutrino nach. Das
ahnungsweise prinzipiengeleitete Streben nach Vereinigung der Theorien hält bis heute an.
Welche faszinierenden Konsequenzen mag es haben, wenn die Vereinigung von Quanten- und
Gravitationstheorie gelingen sollte?
Über Humes Regularitätstheorie der Kausalität hatten wie uns ja schon wiederholt
ergebnislos ausgetauscht. Unter den weiteren Theorien der Kausalität favorisiere ich eine
Synthese von Nomologischer-, Transfer- und Probabilistischer Theorie:
Mir scheint das (Hume) gar keine Theorie mit Behauptungen und Begründungen, sondern eher
eine Unterscheidung und Untersuchung verschiedener Schlussformen zu sein. "Wenn du
das so und so meinst, bedeutet das...Wenn du es so und so meinst, bedeutet es
dagegen..."
Claus
https://philipphuebl.com/pdf/Huebl_Grundwissen_Theorien_der_Kausalitaet_Web…
<https://philipphuebl.com/pdf/Huebl_Grundwissen_Theorien_der_Kausalitaet_Webseite.pdf>
Dabei knüpft die Transfertheorie an den Energiesatz an und ließe sich bis hinunter zur
lückenlosen Abfolge von Energiequanten in der Zeit bzw. von Wirkungsquanten
spezialisieren. Das bleibt vorerst meine Ahnung. Ausgearbeitete Synthesen im Anschluss an
Hume haben bspw. die analytischen Philosophen Spon und Chen vorgelegt
CHANCE AND NECESSITY: FROM HUMEAN SUPERVENIENCE TO HUMEAN PROJECTION, by Wolfgang Spohn.
Abstract: "This paper attempts to develop a projectivistic understanding of chance or
objective probability or partial determination. It does so by critically examining David
Lewis’ philosophy of probability and his defense of Humean Supervenience, building
thereupon the constructive projectivistic alternative, which will basically be a suitable
reinterpretation of de Finetti’s position. Any treatment of the topic must show how it
extends to natural necessity or deterministic laws or full determination in perfect
parallel. The paper indicates at the end how this demand can be met.“
https://kops.uni-konstanz.de/entities/publication/404a1730-b9fd-404b-bcd5-8…
<https://kops.uni-konstanz.de/entities/publication/404a1730-b9fd-404b-bcd5-8499d72a9f23>
"In sum, we have here all the ingredients for telling exactly the parallel story
about necessitation or full determination as we have told about partial determina- tion.
Deterministic laws are, in the way explained, projections of ranking functions, i.e., of
subjective states representing beliefs and their dynamics.“ Ahnungen bzw. „subjektive
Zustände repräsentierter Vermutungen“ bilden deterministische Gesetze, aus denen dann ggf.
interessante Einsichten deduziert werden können.
Über den anfänglichen Quanten-Zustand des Universum konnte sich Hume noch keine Gedanken
machen, aber Eddy Keming Chen in: "Quantum Mechanics in a Time-Asymmetric Universe:
On the Nature of the Initial Quantum State:
https://arxiv.org/abs/1712.01666 <https://arxiv.org/abs/1712.01666>
Humean Supervenience: "Recall that according to Humean supervenience (HS), the ”vast
mosaic of local matters of particular fact” is a supervenience base for everything else in
the world, the metaphysical ground floor on which everything else depends. On this view,
laws of physics are nothing over and above the “mosaic.” They are just the axioms in the
simplest and most informative summaries of the local matters of particular fact.“ Ob
Ahnungen oder Axiome, physikalische Gesetze ordnen die Fakten in möglichst einfacher und
informativer Weise. Empirisch dabei bleiben aber die gemessenen Quantitäten.
Conclusion: "I have introduced a new package of views: Density Matrix Realism, the
Initial Projection Hypothesis, and the Nomological Thesis. In the first two steps, we
introduced a new class of quantum theories. In the final step, we argue that it is a
theory in which the initial quantum state can be given a nomological interpretation“, die
natürlich im Anschluss an Bohm gelingt. Eine dimensionsreduzierende Projektion auf den
Anfangszustand des Universums nimmt auch Penrose hinsichtlich seiner "Cycles of Time“
vor, um das Problem der Annahme geringer Entropie am Anfang zu vermeiden.
IT