Moin Joachim,
ich versuche mich im Gegensatz zu vereinfachend-isolierenden Betrachtungen in der hier
gebotenen Kürze an einer zugleich unterscheidenden und verallgemeinernden Denkweise und
beziehe mich neben der Umgangssprache auch auf die Mathematik. Du hattest mir Clausewitz
zu isoliert gedacht, „der völlig „unphilosophisch“ und abstraktionsresistent über „den“
Krieg nachdenkt, und zwar den der entscheidungstragenden Menschen in ihren jeweiligen
Situationen, …“ Situationen sind kontextabhängig und Clausewitz verfolgte seine
spezifische militärische Sichtweise. Die kann ein Anfang sein, so wie schlechthin Kunst
und Wissenschaft aus der Alltagspraxis heraus entwickelbar sind. Wie ginge es für Dich
nach Clausewitz weiter?
IT
Am 30.08.2024 um 08:42 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Lieber Ingo,
es ist schwer bis unmöglich, in solche ganz „groß“ gedachten Zusammenhänge, die einem als
immer schon systemisch funktionierend, kooperierend, zusammengehörend präsentiert werden,
anders als entweder vage beipflichtend oder nachgewiesen unterinformiert und
dilettantisch-provokatorisch einzudringen (was dann den Reflex der Eingeweihten
provoziert: „der muß halt noch belehrt werden, der hats noch nicht kapiert, der muß erst
mal noch das und das und das lesen, usw.“). Ich kann daher gegen deine Ausführungen nur
einen sehr vorläufigen und unpräzisen, zugegebenermaßen nicht sehr weit führenden
Vorbehalt formulieren, der in etwa lauten würde: es geht mir in deiner (Gedanken-)Welt
etwas zu prästabiliert „harmonisch“, zu vorhersehbar unproblematisch, zu optimistisch und
„lösungsorientiert“ zu. Symptomatisch und „verräterisch“ scheint mir dann eine Wendung wie
dein „An uns liegt es, sie [du meintest „Mittel und Zwecke“, aber man könnte auch anderes
einsetzen] philosophisch zusammenzudenken“. Warum „zusammen-“? Ich finde es philosophisch
wichtiger, sinnvoller, notwendiger, Dinge „auseinander“-zudenken, denn „zusammen“-gebracht
werden sie ja doch sowieso ständig (im unter Funktionszwang stehenden Alltag, von
pragmatischen Politikern und propagandistischen Ideologen), ständig werden uns doch
Passungen, Übereinstimmungen, Ausgleichungen, Null-Summen-Spielchen und Do-ut-Des-Normen
verschiedenster Art suggeriert, als ob die ganze Welt „in der Summe“ (nochmal: im god´s
eye view) eine perfekt funktionierende Maschine sei. Ist nicht auch das noch ein Erbe von
Hegels alter idealistischer „real=rational“-Gleichung, in etwas nachgerüsteter
modernisierter naturwissenschaftlicher und „kulturalistisch“-modisch aufgepeppter
(Ver-)Kleidung? Müßte nicht post-hegelianische Bescheidenheit und der vielbeschworene
Abschied von den „großen Erzählungen“ uns dazu einladen, die Dinge vielleicht endlich mal
auch philosophisch (gerade auch philosophisch) „eine Nummer kleiner“ zu denken, was z.B.
heißen würde, daß etwa ein Problem wie das der „Gewalt“ schon dadurch ins hoffnungslos
Abstrakte zerredet wird, daß sie mit Kosmologie, Geburt und Tod „zusammen-gedacht“ wird?
(Das war ja z.B. der Sinn meines anfänglichen Hinweises auf Clausewitz, der völlig
„unphilosophisch“ und abstraktionsresistent über „den“ Krieg nachdenkt, und zwar den der
entscheidungstragenden Menschen in ihren jeweiligen Situationen, und nicht über den „Krieg
allgemein“ und schon gar nicht über „Krieg der Sterne“ oder der Galaxien oder der Mikroben
und Atome…). Und ein Symptom dieses Abgleitens ins Abstrakt-Immer-Irgendwie-Richtige wäre
ja z.B., daß die Phänomene, die eben nicht an einem harmonischen „Ausgleich“ von
„Kooperation und Konkurrenz“ orientiert sind, wie etwa der radikale Pazifismus (oder der
Suizid oder andere „existentiellen“ Entscheidungen) ins Pathologische abgeschoben werden,
weil sie nicht in die großen Kategorien „Evolution“, „Selektion“, „Ordnung“ passen.
Ich weiß nicht, vielleicht ist es ja nur eine Frage des persönlichen (Denk)Stils oder des
„Charakters“ (wie Fichte vermutet hatte) – oder vielleicht doch eine Frage der geistigen
Kapazität. Wenn Letzteres, dann gestehe ich: ich bin einfach (auch hier) unter dem Niveau.
Trotzdem (und gerade deswegen): weiter unbelehrbar.
JL