Am 14.03.2023 um 03:10 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
...
Es geht zuerst um das Denken der Grenzen, dem kannst
du trotzdem widersprechen, und mit etwas anderem anfangen, ich bin darauf hin nicht böse.
Es geht jedoch um die Frage des "Bei der Sache bleiben", eventuell des Ceteris
paribus. Hierbei kannst du einen Zirkel denken, ja, ich auch. Andererseits ist die
Wendung: "Irgendwo muss doch angefangen werden" bekannt, der Anfangspunkt im
Denken oder Gespräch kann beliebig sein. Du kennst doch auch einige Abgrenzungen, die
nicht in der Mitte verlaufen, sondern am Anfang oder am Ende gedacht werden sollen. Der
Punkt in einem Satz ist so eine Endabgrenzung. Eine Abgrenzung kann verstärkt werden, dann
kann sie als eine Art Universalargument gedacht werden (oder nur als eine). Das wird noch
deutlicher, wenn eine Person hinter jedem Satz oder Absatz sagt: Ceteris Paribus, Amen
oder "Fertig jetzt, in jeder Hinsicht!“.
Eigentlich gehe ich bei Gedanken an Begrenzungen intuitiv immer von peripher verlaufenden
Grenzen aus, wie eben bei Deinem Beispiel vom Satzende (wenngleich der Punkt lediglich die
Satzstruktur aber nicht unbedingt dessen Aussage abschließend markiert).
Und überhaupt Grenzen! Das wäre ein Thema, mit dem wir das philweb-archiv zum Überlaufen
bringen könnten.
Als „Universalargument“ würde ich Abgrenzung nicht einordnen, nicht einmal, wenn Aussagen
mit dem Anspruch an absolute Gültigkeit verbunden sind, denn wer könnte letztgültig
Grenzen unter dem Diktum des „ceteris paribus“ mit der Gewissheit setzen, alle damit
verbundenen Unabwägbarkeiten berücksichtigt zu haben?
Kein System (selbstredend auch kein „semantisches System“) dieser Lebenswelt ist
hermetisch von jenen abzugrenzen, die es umgeben. Offensichtlich gibt es kein völlig
isoliertes System in diesem Universum; es hat immer einen gewissen Betrag von
Durchlässigkeit (womöglich trifft hier eher der Begriff von Permeabilität zu, da damit
auch ein kleinster Betrag von Durchlässigkeit vielleicht als Porosität zu beschreiben
ist).
Waldemar würde vermutlich sagen, man würde immer eine Wechselwirkung zwischen Systemen,
also Bereichen aller Art haben und somit immer auch zwischen einem Innen und dem dort
angrenzenden Außen. Hätte dann aber das Gesetz eines Hermes Trismegistos Gültigkeit: wie
innen so außen? Mitnichten – und das unbesehen der historischen Gegebenheiten und Annahmen
der Antike.
Irgendwie kommen mir jetzt Leibniz' Monaden in den Sinn. Und – zum Leidwesen einiger
hier - auch wieder der Bezug auf einen Gott; diesem nämlich hat Leibniz die Erschaffung
einer Ur-Monade zugeschrieben, aus der sich alle weiteren (dieses Universums) entwickelt
haben, jede einzelne in sich selbst kreisend, nichts kommt aus ihnen heraus und nichts in
sie hinein.
Das lässt mich an Waldemars autonom selbstorganisierende Materiecluster denken, deren
jeweilige Eigenschaftensummen diesen immanent sind; wie diese „spezifische Ausstattung“
dort hineinkommt, weiß er allerdings nicht zu sagen und Leibniz würde einwenden, diese
seien von Gott primordial für alle Ewigkeit angelegt und in ihren Distanzen resp.
Abgrenzungen durch prästabilierte Harmonie optimal aufeinander eingestellt.
Hier könnte demnach ein Gott auf Harmonie bei Grenzziehungen geachtet und dementsprechend
eingewirkt haben. Würde er dieses doch nur weiterhin und das sehr aktuell zwischen ru und
ukr betreiben – wo man ihn dort doch diesbezüglich priesterlich von allen Seiten
beschwört!
Womöglich war aber nicht - wie Leibniz annahm - ein Gott am Werk, sondern eher „göttliche
Gesetze“ als universal gültige Naturgesetze, die in ihrer „maßgeschneiderten“ Architektur
für dieses unfassbar fein abgestimmte kosmische Szenario federführend sind. Die Frage
jedoch bleibt im Raum, wer der Urheber dieser höchst elegant, in der Sprache der
Mathematik abgefassten, immer und überall gültigen Naturgesetze sein sollte und ich denke,
Du Bois-Reymond könnte diesbezüglich recht behalten: „wir wissen es nicht und werden es
nie wissen“. Die Betonung liegt auf Wissen!
Sollten Menschen deshalb resignieren und aufhören, Hintergründe ihres Daseins und das von
Welt und Kosmos zu hinterfragen? Da fällt mir Burkhard Heim ein, der einmal von sich
sagte, er würde in unverfrorener Weise durch das Schlüsselloch einer „himmlischen“ Türe
sehen, um in Gottes geheimer Kammer Dinge zu erspähen, die den Menschen verborgen sein
sollten (sinngemäß). Er dachte und forschte grenzüberschreitend, zählte zu den ganz großen
Forschern des vergangenen Jahrhunderts und blieb doch lebenslang ein sog. verkanntes
Genie.
Um Grenzen ging es uns jetzt also und dieses abschließend fällt mir noch Everett ein. Über
ihn habe ich hier schon öfter geschrieben und er passt grade hier her, denn auch er war
ein genialer, wie ebenso verkannter Grenzgänger. Und ich möchte es J. Wheeler nicht
verzeihen, dass er seinem Schüler aus Nachsicht gegenüber Bohr Steine in den Weg gelegt
hat. Nur so ganz Unrecht hatte Wheeler nicht mit seiner Skepsis gegenüber Everetts
Theorie.
Ein Universum angefüllt von Monaden? Oder eben die Annahme „vieler Welten“ bzw.
„Parallelwelten“, wie man diese aus Everetts „Correlation Interpretation“ unzutreffend
ableitet; er selbst hat diese lediglich als Meta-Theorie der QM vorgestellt. Ihm ging es
nicht um parallele Welten, sondern er definierte diese als „relative Zustände“, die DeWitt
dann später als „viele Welten interpretierte“ und sich damit diese Begrifflichkeit
etabliert hat.
Verwirrung stiften nach wie vor verschiedene Interpretationen der Wellenfunktion, doch man
kann getrost davon ausgehen, dass sich jeweils nur einer der möglichen Zustände
verwirklicht. Und diese Vorstellung möglicher (prozessualer) Zustände führt m.E.
geradewegs in die kürzlich von mit erwähnte Causal Set Theorie von Sorkin/Dawker.
Doch nochmal zurück zu Grenzen. Diese verschwinden nahezu, wenn alles Materielle auf die
Mikroebene skaliert, quasi granuliert, oder gleichermaßen in Wellen-Form betrachtet würde.
Das ist Waldemars Welt der „Hammelkörner“ und diese Sichtweise ist definitiv nicht falsch,
sondern nur lebenspraktisch bisweilen unbrauchbar.
Aus quantenmechanischer Sicht erweist sich bekanntermaßen jegliches materielle Substrat
als energetisch angeregte Summe von Feldelementen der vier physikalischen Grundkräfte. Das
ist dann eben keine starre „Eigenschaften-Summe“ sondern ein prozessuales Ereignis.
Gleichermaßen sind es Eigenschaften, die dem Gehirn/ZNS auf geniale Weise als real
„vorgespielt“ werden, und über mittlerweile bekannte, neurobiologische Prozesse, z.B.
Licht als Farbe sowie sonstige als „Wellenpakete“ geschnürte Elementarteilchen, die als
stofflich angenommene „geronnene Energie“ bzw. als „Wirks“ (wie Dürr es nannte) sensorisch
wahrgenommen und als solche interpretiert resp. inferiert werden.
So erweisen sich aus meso-/makroskopischer, also lebenspraktischer Sicht heraus,
neurobiologisch rezipierte und verarbeitete mikroskopische Wellenpakete als deutlich
erkennbare, konkrete materielle Objekte, wie man diese im alltäglichen Leben wahrnimmt.
Welch phantastischer Mechanismus und man fragt sich, wer diesen „erfunden“ hat!
Um diesbezüglich nochmal auf Grenzen und damit auf die Tatsache zu kommen, dass benannte
Wellenpakete nicht exakt von einander - ähnlich wie Wellen auf einem See - abgrenzbar
sind, sondern in ihrer Ausbreitung interferieren und sich darüber hinaus unbegrenzt,
wenngleich nach entsprechender Abschwächung nicht mehr mit technischen Mitteln
physikalisch messbar, in Welt und Universum hinein ausbreiten: Hier liegt natürlich die
Vermutung nahe, derartige Annahmen grenzten an jene der Esoterik, vor allem aus der Sicht
jener, die Materie schlichtweg nur als sichtbar, messbar, anfassbar zu erfahren gewohnt
sind.
In diesem Zusammenhang hatte ich zuletzt geschrieben: Wenn hier immer wieder mal von
Feldern, von Verschränkung, von Nichtlokalität gesprochen wird, dann sind es genau diese
Phänomene, die für diese Verbindung von Materie und Geist stehen. Und genau deshalb kommt
es darauf an, nicht nur diesbezügliches Wissen zu erlangen, sondern dieses in seinen
spezifischen Zusammenhängen auch zu begreifen.
Wenn H.P. Dürr behauptet „Es gibt keine Materie!“, dann verleugnet er nicht die stofflich
manifestierte Substanz, die er als „geronnene Energie“ bezeichnet, vielmehr schafft er
damit den Übergang von Materie zu Geist und vice versa, als verschränkte aktive Substanz,
quasi informierte Wellen, die im Kern keine Grenze kennen.
Bester Gruß! - Karl
PS:
So, Karl, jetzt bin ich auf den ganzen Inhalt deines
Schreibens eingegangen, das hast du ja lieber. Das war nicht Absicht, es war hier besser
(adäquater), (nicht "meiner Meinung nach"), als wenn ich jeden Satz kommentiert
hätte.
JH
Ja, das ist mir lieber, da man geschlossen auf einen Beitrag oder sonstige
Einlassung antworten kann. Wenn Repliken fragmentiert nach Absätzen eingefügt sind,
verliert sich schnell die Übersicht und damit auch die Geschlossenheit einer Aussage. LG