Am 05.10.2022 um 16:48 schrieb waldemar_hammel über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Karl Janssen über PhilWeb schrieb:
Unterschiedliche „Strukturen des Erlebens und wohl auch Denkens, die wir nicht
überspringen können“: Das ist die eigentlich zentrale Aussage zur Begrifflichkeit von
Wahrheit resp. Wirklichkeit.
Wirklichkeit zu erkennten, ist für mein Teil entscheidender als Aussagen hinsichtlich
ihres Wahrheitsgehalts zu bewerten, unbenommen selbstverständlich von Wahrheit im Sinne
einer „Wahr/Falsch-Aussage und seiner essentiellen Bedeutung z.B. in der technischen
Informationsverarbeitung oder eben auch Wahrheit als grundlegendes Element für ein auf
Vertrauen bauendes menschliches Miteinander.
Die Vorstellung von Wirklichkeit resp. zu Wahrheit, bezogen auf die gegenständliche
Lebenswelt versus ideell lebensweltlicher Zusammenhänge und deren Implikationen. Letztere
bergen vornehmlich das Problem jeweils subjektiver Wahrnehmung, als genau der von Dir,
Claus, angeführten divergenten Strukturen von Erlebens- und Denkmustern, die dann nahezu
unausweichlich zur Ausbildung unterschiedlicher Inferenzen sowie darauf bezogener Aussagen
führt.
S. Hawking hat dieses Phänomen mit seinem berühmten „Goldfisch-im-Kugelglas-Beispiel“
aufgezeigt und daraus seine These als „model-dependent realism“ abgeleitet. Gemäß diesem
„modellabhängigen Realismus“ ist es sinnlos zu fragen, ob ein (Denk-)Modell wirklich der
Wirklichkeit entspricht, also real ist, sondern lediglich, ob es mit der Beobachtung
übereinstimmt.
Am Beispiel des Goldfischs im Kugelglas wird deutlich, dass dieser Fisch sein Umfeld
alleine deshalb schon anders wahrnimmt, weil es sich ihm durch die Glaskrümmung anders als
einem von außen darauf sehenden Beobachter(auch wenn es ebenso ein Fisch wäre) darstellt;
dennoch haben beide Wahrnehmungenvon Realität die gleiche Gültigkeit, d.h. sie entsprechen
aus ihrer jeweiligen Sicht der Wahrheit.
Wirklichkeit im Alltagsverständnis der Menschen entspricht dem, was augenscheinlich -
somit als tatsächlich angenommen - existiert. Das entspricht dem klassischen Realismus,
demnach die wahrgenommene Gegenständlichkeit und deren spezifische Eigentümlichkeit (etwa
eine genetisch festgelegte Farbgebung) eben diesem Wesen entsprechend aufscheint und als
solches selbstredend jeweils subjektiv rezipiert wird.
Der im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch üblicheAusdruck benennt diesen naiven
Realismus (also die unmittelbar bedenkenlose Wahrnehmung des Lebensumfelds) als
„Common-Sense-Realism“; damit wird gewissermaßen die jeweils subjektive Wahrnehmung sowie
deren Interpretation von angenommener Realität „vergemeinschaftet“. Mit dieser Art
Objektivierung kommt man der„wirklichenWirklichkeit“ resp. den damit verbundenen Aussagen
näher, als mit der Bewertung von Einzelaussagen.
Das entspricht dem Profilder zuletzt von mir hier benannten Kohärenztheorie, wonacheine
Aussage (die eben auf subjektiv-rezipierende Wahrnehmung basiert) nur dann wahr ist, resp.
der wirklichen Wirklichkeit nahekommt, wenn sie mit der Gesamtheit diesbezüglicher
Aussagen übereinstimmt.
von mir jetzt aber ein ganz entschiedenes nein zu von dir, karl, oben geschriebenem, denn
damit wirfst du die gesamte historische und bis-jetzt philosophie über "die wahrheit
der wirklichkeit" über bord !
Sei’s drum! Nur solltest Du mir schon exakt erläutern, was Du an dem von mir o.a.
Geschriebenen.als „über Bord geworfene Philosophie - bezogen auf den Wahrheitsbegriff -
deutest. Überdies frage ich mich, welchen Bezug Du überhaupt auf historische Philosophie
nimmst, wo Du Dich doch bei jeder Gelegenheit vehement alleine schon gegen Platon stellst,
als einen „Urvater der Philosophie“.
Übrigens: mit Philosophie an sich hat die oben von mir angeführte Betrachtung zur
Begrifflichkeit von Wirklichkeit resp. Wahrheit weniger zu tun, als vielmehr mit dem
Phänomen unzulänglicher Perzeption von realer Gegenständlichkeit der Lebenswelt und damit
der Thematik von Neuro- und natürlich Sozialwissenschaft näherstehend.
Zumindest hast Du schon mal mit Deinem „entschiedenen Nein“ dafür gesorgt, dass ich mein
diesbezüglich Geschriebenes nochmal genau gelesen habe. Einen krassen Widerspruch zum
darauf bezogenen Wissenstand habe ich nicht gefunden. Also warte ich mal, was da von Dir
kommt. Hoffentlich nicht wieder das abgedroschene Apfelbeispiel samt Selbstreferenz und
Anbetungsritualen an Mutter Natur :-)))
Karl