Am 11.05.2019 um 08:54 schrieb Rat Frag via Philweb:
Es tut mir leid. Das ist wohl das Problem, wenn man zu
lange im Internet
diskutiert, man ist es einfach zu sehr gewohnt, beleidigt zu werden.
Glücklicherweise haben wir hier in philweb nicht das von Dir erwähnte
"Niveau", wie man es zum Überdruss in Blogs etc. vorfindet, das sich zu
Anfangszeiten (von Email-Listen oder usenet) als das unrühmliche
"Flaming" entwickelt hat. Vielleicht ist der Verzicht unserer Teilnehmer
auf diese Unart sogar das "Geheimnis" von philweb, warum sich diese
Liste (wenngleich manchmal über Monate im Tiefschlaf) nun schon über
Jahrzehnte im Netz erhalten hat. Es ist einfach der Respekt gegenüber
jeglich hier geäußerter Meinung, sofern diese im Rahmen einer fairen
Diskussion und (selbstredend) der Netiquette liegt.
Von meiner Seite zu diesem Anlass vielen Dank dafür an alle
List-TeilnehmerInnen!
Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass eine so
verstandene Philosophie
anders aufgebaut sein müsste als die heutige Philosophie. Heute ist Phil.
ja zum größten Teil Philosophiegeschichte. Leute, die selbst den Ehrgeiz
haben auf diesen Gebiet einen bedeutenden Beitrag zu leisten, sind doch
eher selten. Zudem die Phil. geführt sehr viel weniger geschätzt wird als
z. B. Filmkunst oder Biologie.
Das ist durchaus richtig, soweit man die dominant oberflächliche
Kulturszene erlebt (insbes. auch das in Medien verbreitete Bild von
Philosophie, wo selbsternannte und eben von diesen Einrichtungen als
modern gepriesene Philosophen sich als plappernde Zeitgenossen in
diversen Talkshows erweisen, wo sie sich letztlich nur in
Gesellschaftskritik anstatt in wirklich philosophischer Betrachtung ergehen.
Wenn wir uns mal die großen Philosophen, die uns überliefert sind, so
ansehen, müssen wir allerdings feststellen, dass das keine sehr große Rolle
spielt:
- Descartes, Mathematiker und Philosoph, stand am Anfang von dem, was wir
Neuzeit nennen, hatte niemals eine Professur inne.
- Pascal ebenfalls, kein akademischer Philosoph.
- Leibniz: Zwar akademische Weihen, im Wesentlichen aber Bibliothekar.
- Hume, ebenfalls niemals einen akademischen Posten bekleidet
- Schopenhauer wäre heute ein Schriftsteller, kein Philosoph.
- Nietzsche ebenfalls.
Hier würde ich spontan Einspruch erheben wollen: Erstens -
alle
geschätzten Hochschullehrer hier mögen mir vergeben - kann es geradewegs
von Vorteil sein, Philosophie nicht im Rahmen und im Zwang eines
Lehramtes betreiben zu müssen. Das schreibt man einem Schopenhauer zu,
der zunächst sicher ein Lehramt anstrebte, glücklicherweise krachend
damit gescheitert ist und dennoch einen nicht zu leugnenden essentiellen
Beitrag zur Philosophie der Neuzeit geleistet hat.
Nietzsche hatte eine Professur in Basel und diese tatsächlich als
Philologe; trotzdem ist er für mich einer der größten Philosophen
bisher. Man wird das erst erkennen, wenn man (wie er) die wirklichen
Dramen dieser Welt entweder selbst erlebt hat oder diese zumindest
zutiefst nachvollziehen kann. Das er "nebenbei" einen vorzüglichen und
verständlichen Schreibstil pflegte, zeichnet ihn zusätzlich aus.
Leibniz bin ich zuerst im technischen Studium begegnet. Bis heute bleibt
mir nichts als Bewunderung für seine großartigen Beiträge zur
Wissenschaft, beginnend mit der Mathematik (Integral- und
Wahrscheinlichkeitsrechnung, Reihen, Kombinatorik etc.) bis hin zu
philosophischen Werken (rein intuitiv fühlte ich mich davon angezogen,
unabhängig davon, ob man sich mit seiner -vermutlich nicht zutreffenden-
Monadenlehre anfreunden kann).
Pascal hat mich mehr mit seiner Mathematik begleitet und beeindruckt als
mit seiner Philosophie. Dennoch ist seine von Logik geprägte
Argumentation beachtlich, aus zweiwertiger Sicht (tertium non datur:
deshalb nur die Wette "Kopf oder Wappen") einen Vorteil in der Annahme
der Existenz eines Gottes zu definieren: "Was wollt ihr wetten? Nach der
Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andre behaupten; nach der
Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen....". Damit ist er auf
gleicher Linie wie Kant.
Pascal: "Wette denn, dass er ist, ohne dich lange zu besinnen, deine
Vernunft wird nicht mehr verletzt, wenn du das eine als wenn du das
andre wählst, [...] wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du
verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.“
Das ist mir das lausigste (wenngleich logisch gültige) Argument pro
Gottes-Glauben und ich würde mit Goethe sagen wollen: „...Voltaire,
Hume, La Mettrie, Helvetius, Rousseau und ihre ganze Schule, haben der
Moralität und der Religion lange nicht so viel geschadet, als der
strenge, kranke Pascal und seine Schule.“
Man findet diese elende Ansicht auch bei zeitgenössischen Philosophen.
Etwa: ich will mal an einen Gott glauben; gibt es ihn nicht, ist nichts
verloren, gibt es ihn, ist ewiges Leben im Himmel gewonnen; Letzteres
bei guter Lebensführung.
Kleingeistig lächerliches, auf ein jämmerliches ICH bezogenes Kalkül!
Sich darauf zu berufen oder zu beziehen, zeugt dann tatsächlich davon,
wie wenig sich Menschen geistig entwickelt haben. Einer definitiv
anzunehmenden, jenseits unserer Erfahrungswelt - raumzeitlich
ungebunden - existierenden "Entität" wird es nie daran gelegen sein,
sich der anbiedernden Huldigung unterwürfig blind glaubender,
eigennütziger Lebewesen auszusetzen, die zu allem Überdruss nichts
besseres zu tun haben, um den ihnen geschenkten -wunderbar großartigen-
Lebensraum und damit sich selbst zu Schanden zu richten.
Bester Gruß in die Runde! - Karl