Am 01.04.2024 um 20:31 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Allein von da her gesehen ist der "Themenkomplex" sehr umfangreich, wie IT
schreibt, ich beschäftige mich nur mit wenigen grundlegenden Sachen und minimiere die
Wörter, die ich nutze, zusätzlich. So gesehen bin ich unfähig, mitzumachen. Nun stelle ich
doch die Frage, auf die ich keine eindeutige Antwort insbesondere von den Mathematikern
bekomme: Sind die Sätze der Mathematik Teil der Sprache oder sind die zwei Bereiche
getrennt? Das wäre jedoch fast eine Gretchenfrage. Ist das üblich eingesetzte
klassifikatorische, logische Denken kompatibel mit dem kausalen, das die Kladistik als
Methode bewirkt? Diese Frage ist schon genauer. Einem Kind schon Statistik, Stochastik,
Wahrscheinlichkeit beizubringen, das die Grundformen der Mathematik nicht kennt, ist
vermutlich unmöglich. Zudem sind Wörter ziemlich am Anfang nach den ersten informellen
Äußerungen in der Ontogenese, so dass Mathematik vermutlich auf diesen aufbaut. Womöglich
ist Wörtersprache Voraussetzung, um überhaupt Mathematik zu lernen. Ist Mathematik nicht
so hochgezüchtet, dass mit ihr genauso schwadroniert werden kann wie mit Literatur oder
Texten, die nicht einmal das Wort Literatur verdienen? Ich will hiermit auf keinen Fall
Gegnerschaft bewirken, wünsche aber keine Sätze wie: "Es ist A, es ist auch B",
"all is literature", "all is information", und "all est
Rätsel", warum nicht auf chinesisch? Eine weitere Frage bei mir ist: "Ist
Informationstheorie Mathematik, Teil der Mathematik, oder was ganz Unabhängiges?
Hi JH,
nach Heydenreich wäre die Frage systematisch, historisch und textuell zu beantworten.
Textuell wäre mit den Originalarbeiten zu beginnen, historisch in der Antike und
systematisch mit Lehrbüchern. Informationstheorie kann also zur Mathematik gehören oder
was ganz Unabhängiges in der Handlungstheorie sein. Womit Kinder anfangen und ich mich
noch erinnere, ist das nachahmende Sprechen und Zählen, sind Schriftübungen mit Buchstaben
und Ziffern. Ontogenetisch primär ist die gemeinsame Handlungspraxis.
Sätze der Sprache und der Mathematik sind aus der Handlungspraxis hervorgegangen,
gleichwohl halte ich sie für so getrennt wie Grammatik und Logik. Beiden gemeinsam ist das
Regelbefolgen, das sich aber einmal auf Wörter, das andere Mal auf Zahlen bezieht. Es
bleiben die Unterschiede der Handlungspraxen. Schriftsteller jonglieren mit Worten und
Sätzen, Mathematiker mit Termen und Gleichungen. Da Sätze lediglich der Grammatik zu
genügen haben, kann mit ihnen grenzenlos unsinnig geschwafelt werden, mit Gleichungen
dagegen weniger, da sie stets der wesentlich einschränkenderen Logik in den Beweisen zu
genügen haben.
...
Erkenntnismittel Mathematik
ob Erkenntnis... oder ... mittel ist fragwürdig.
Im Anschluss an Dirac wie überhaupt in den quantitativen Wissenschaften scheint mir das
offensichtlich und nicht fragwürdig. Aber insofern die Mathematik alltäglich wird, wie
bspw. in den Suchalgorithmen des Internets, bietet sie nicht nur Erkenntniswert, sondern
manipuliert auch. Aber hilft dagegen nicht gerade mathematische Bildung? Ist es nicht
besser, den Gegner zu kennen, wenn er bekämpft werden soll?
The aim of
science is to make difficult things understandable in a simpler way
dieser Satz ist
fragwürdig
Die Mathematik ermöglicht es, in der Physik aus wenigen einfachen Prinzipien
weitreichende Folgerungen zu ziehen. Dirac begeisterte die Einfachheit seiner
Elektronengleichung im Vergleich mit der unendlichen Vielfalt ihrer Lösungen für die
elektronischen Erscheinungen.
the aim of
poetry is to state simple things in an incomprehensible way.
dieser auch
So erschien es Dirac bspw. im Vergleich seiner Elektronengleichung mit der
Göttlichen Komödie. Was für ein Brimborium Dante dabei ausschmückt in seiner Sehnsucht
nach Beatrice!? Ist der gefühlte Zustand der Verliebtheit nicht vergleichsweise einfach?
The two are
incompatible.
Stimmt das?
Dirac sah das so und ich in Bezug auf die unterschiedlichen Handlungspraxen (siehe
oben).
Dath diese Haltung Dirac’s mit den Worten: „In
der Physik versuchen wir, etwas, was vorher niemand gewußt hat, mit Zeichen zu sagen, die
jeder versteht.
jeder?
Zumindest im Prinzip; denn die Mathematik ist weltumspannend gleich und heutzutage jedem
zugänglich. Dirac’s Gleichung gilt überall auf der Welt in gleicher Weise, egal auf
welchem Erdteil und in welcher Zivilisation. Mathematik verbindet Menschen,
Umgangssprachen trennen sie.
In der Dichtung
ist es genau umgekehrt.
das stimmt offensichtlich nicht. Denn der gute Literat
platziert die Wörter aus seinem Wörterkorpus so perfekt, dass jeder die geschriebene Sache
danach "vor sich hat".
Gefühle und Empfindungen sind unmittelbar nur jedem Menschen selbst zugänglich. Wie
Literaten ihre Gefühle und Empfindungen versprachlichen, kommt meinen bspw. nur mehr oder
weniger nahe oder ist ihnen ähnlich. Texte bleiben vage und sind endlos interpretierbar.
Nichts ist perfekt, auch der beste Literat nicht und Worte bedeuten doch bloß das, was wir
in sie hineinlegen. Entsprechend vielfältig und situationsabhängig ist es auch, was ich
mir beim Lesen vorstelle.
das
Inkompatible durch „Interformation“ kompatibel zu machen
Es ist fragwürdig, ob es
zusätzliche Wörter "etwas bringen", wo die Grundlagen nicht vorhanden sind.
„Interformation“ führt Aura Heydenreich ein in Band 9: „Literatur und Naturwissenschaft:
Interformation und epistemische Transformation“. Darin schreibt sie: „Die Interformation
wird als derjenige semio-logische Prozess zu beschreiben sein, der die Schnittstellen
zwischen den verschiedenen Sphären der diskursiven Praxis sichtbar macht. Die Regeln,
nach denen an diesen Grenzorten Bedeutung entsteht, stehen nicht von vornherein fest, denn
sie werden selbst zum Gegenstand komplexer semio-logischer Aushandlungsprozesse. Den
‚Grenzort‘ nenne ich transdiskursive Kontaktzone.“ Eine derartige Kontaktzone bildet auch
philweb, in dem wir regelmäßig aneinander vorbei schreiben, weil wir selten gemeinsame
Bedeutungen herstellen.
Einen Übergang
zwischen beiden Bereichen bildet zumindest die formale Logik.
Das würde mich aber
sehr wundern.
Das wundert mich wiederum; denn aus der Umgangssprache heraus hat Lorenzen bspw. die
Dialogische Logik entwickelt, die formalisiert mit der konstruktiven mathematischen Logik
zusammenhält. Sind damit nicht eine mathematische- und eine Alltagspraxis ineinander
transformierbar?
IT