Lieber Ingo,
vielen Dank für Deine Nachricht.
Jedes der von Dir erwähnten Teilchen mitsamt seinem eingebetteten „Programm“ - als
Formalismus, der beschreibt, wie es agiert und interagiert ist in unseren Augen eine sich
auf der Grundlage ihres Potenzials verwirklichende Kohärenz. Das zu unterstellende, auch
quantitative Aspekte mitbestimmende „Programm“ mitsamt der zu Grunde liegenden stofflichen
Qualität werden als über die einzelne Verwirklichung hinaus gegeben und bereitliegend
betrachtet, als Potential, aus dem heraus wiederholte Verwirklichungen geschöpft werden
können.
So weit, so gut, es ist eine andere Art der Beschreibung, mehr nicht.
Dann aber sagen wir, dass jede Potential-gestützte - auch das Interagieren betreffende -
Kohärenz eine diesem zu Grunde liegenden „Programm“ mitsamt der Materialität entspringende
eigene, nicht diffuse, nicht willkürliche Perspektive auf „die Welt“, auf „seine“ Welt
erzeugt, einen in dieser Sicht und Zugangsart gefassten miterzeugten, das heißt von diesem
Innen und einem nicht näher bestimmten „Außen“ miterzeugten Kontext.
Die in der Perspektive jeweils mit angelegte „Erwartungshaltung“ bezüglich des Agierens
und Interagierens anderer Perspektivenspender und Erzeuger prägt das Bilden oder
Nichtbilden zeitweilig zu einer Interaktionseinheit zusammengehender Kohärenzen. Diese
können sich wiederum mit anderen einzelnen Kohärenz und Mengen von zusammengeführten
Kohärenzen zusammentun, wobei jede Kohärenz zugleich Element mehrerer Kohärenzmengen und
damit Bedeutungsmengen sein kann.
So, jetzt hat sich der Begriff „Bedeutung“ eingeschlichen.
Indem jede identifizierte Kohärenz ihre eigene Perspektive ist und vertritt, weist es den
im Horizont enthaltenen Identitäten eine Bedeutung zu. Durch Kohärenz-konformes
Zusammengehen entsteht für beide oder alle zusammengehenden Kohärenzen eine Teilhabe an
einer wiederum ihre eigene Perspektive erzeugenden / seienden „größeren“ Kohärenz, einer
gebildeten Kohärenz-Menge.
Diese Ansichtigkeiten sind zueinander nicht disjunkt, sie sind ineinandergelagert wie Töne
in einem Orchester.
Diesen Aspekt der Perspektivität und damit den der Kohärenz- und damit
Identitäts-gestützten Bedeutung und Bedeutungszuweisung haben wir eingebracht, so dass
Perspektivität, Deuten und jeweilige Bedeutsamkeit nicht erst später wie der deus ex
machina willkürlich, z. B. ab einer bestimmten Systemgröße hinzuaddiert müssen. Sie sind
von Anfang an da, enthalten, mit zu Grunde liegend und mitverwirklicht.
Mit der diesem Schritt ist es aber noch nicht getan, denn wir fassen ja Kohärieren als ein
Vorangehen auf, und nicht als zeitlosen und unbezogenen Zustand. Wir fassen deshalb - ich
überspringe die Zwischenschritte, sie sind in unserer Artikelserie dargelegt - ein
interaktionell und sequentiell kohärentes Prozessieren z. B. eines von Dir erwähnten
Bosons so auf, als wäre es durch eine semantische Prozess-Achse zu charakterisieren.
Dann aber haben wir das Problem, in unserem bottom-up-Zugang keinen einfach und vorab
gegebenen, internes Angeordnetsein stiftenden Raum annehmen zu können.
Wir können daher keine vorab gegebenen „sinnvollen" Gitter nutzen, um,, wie in
semantischen Räumen, Sinn-„Richtungen" von Vektoren anzugeben.
Das Einzige, was wir benennen können sich Ausrichtungen nicht im Raum an sich, sondern in
Bezug auf eine andere semantische Achse, und das auch nur in der eingeschränkten Aussage,
dass ein Konvergieren geschieht oder nicht geschieht. Haben sich Einheiten gebildet,
können wir ex post ein solches Konvergieren als erfolgt unterstellen, und natürlich die
Erwartung formulieren, dass ein solches Konvergieren, gleiche Bedingungen vorausgesetzt
wieder zu erwarten sei.
Das wäre die um die Aspekte der Perspektivität und Bedeutuung erweiterte Form von
Knowledge about fundamental particles and interactions, that is, knowledge about the
deepest aspects of matter, wie es in dem von Dir zitierten abstract heißt.
Woraus sich ergibt, dass wir experimentell ermittelten Kohärenzen in jedweder Form, z. B.
der von Quanten im Sinn des tacit knowlege (von Polanyi - wie üblich beschränkt auf die
Humanwissenschaften - formuliert: Wiki: The term tacit knowing or tacit knowledge is
attributed to Michael Polanyi <https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Polanyi> in
1958 in Personal Knowledge.) Perspektivität und „Deutungsfähigkeit“ zuordnen, so dass am
Ende, wo es um das biopsychosoziale Modell der Medizin geht (unser Thema in den Artikeln)
Bedeutsamkeit und Perspektivität nicht zum angeblich blinden, perspektivlosen, nicht
deutenden Fleisch hinzuaddiert werden muss..
Ich zitiere jetzt nicht Aristoteles, sondern einen Absatz unseres abstract von 2016,
veröffentlicht in "EDITORIAL INTRODUCTION - Updating the descriptive biopsychosocial
approach to fit into a formal person-centered dynamic coherence model. September 2016,
European Journal for Person Centered Healthcare 4(3):545-547“. In der Artikelfolge machen
wir übrigens genau das Gemeinsame, das Streben von Wissen zum Ausgangspukt unserer Natur-
und Geistewissenschaften überbrücken sollenden Überlegungen, wie es der von Dir zitierte
Autor gleich in seinem ersten Satz anführt:
"All men by nature desire to know," states Aristotle in the famous first
sentence of his Metaphysics.
Hier das Zitat:
…. Such a model requires the establishment of a basis for both science and humanities, a
formidable task. In order to establish such a basis we used two methods in parallel.
First, we introduced a formal logical notation that allows us to address those features of
time that necessarily have to be taken into account in humanities, but are not extensively
dealt with in sciences such as informatics, physics and biology. Second, with regard to
the qualifying and specifying of the aspects of time, we referred back to human thinking
at a time when science and humanities were not divided into two seemingly autonomous
fields of study. We introduced the phrase ‘dynamic coherence provider’ as a suggested
contemporary term for being given or hypostasised as an underlying potential.
Except for the indeterminableness of future, there is nothing mysterious about such a
dynamic coherence provider: a motorbike is also one - as long as its screws hold tight so
that proceeding occurrence (with its indeterminacy) can be expected. Then, on a
non-stochastic level, we can differentiate between changes of states and something
underlying that provides and ensures the internal coherence within these changes.
One of the results of the underlying, provided coherence is that changes do not happen
just once, but instead have the potential to be re-iterated. This in turn provides
sequential coherence; that is a maintenance of an identity over a given period of observed
time. Therefore, the way we can apply a formal concept of natural identity, that, while
being compatible with scientific formalisation, also allows for topics that are commonly
subsumed exclusively under philosophy, such as the uniqueness of a person, to be
addressed.
Es folgten dann in den vergangenen Jahren noch weitere Artikel, in denen wir das Konzept
schrittweise entfaltet haben.
Viele Grüße,
Thomas
Am 16.01.2021 um 16:32 schrieb Ingo Tessmann
<tessmann(a)tu-harburg.de>de>:
Am 15.01.2021 um 21:19 schrieb Dr. Dr. Thomas
Fröhlich via Philweb <philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
> Das "mitsamt seines kohärenten
Interagierens" ist wichtig: es geht nicht um ein Isolat, und ein beliebiges anderes.
Was zwei Kohärierende miteinander anstellen, ist Ausfluss / Aktualisierung ihres in
sich-und-mit-anderem-Zusammenhängens. Damit ist das Andere immer und von vornherein
mitgedacht, es ist immer Text-im-Kontext, der Wechselwirkungs-Ansatz ist von vornherein
kontextuell.
Hi Thomas,
in der Eichtheorie hat die Forderung nach lokaler Eichinvarianz des Materiefeldes die
Existenz eines die Wechselwirkung vermittelnden Eichfeldes zur Folge. Was hätte
Aristoteles wohl dazu gesagt? Für Theoretiker ist der Formalismus der Kontext, für
Experimentatoren das Labor. Beide kommen zusammen, indem die mittels Bosonen
wechselwirkenden Fermionen jeweils als Quanten des Eich- bzw. Materiefeldes gedacht
werden.
Aristoteles hat ja vielerlei Beobachtungen dokumentiert, hat er aber jemals ernsthaft
experimentiert? Christian Öttinger präsentiert sein Bild von der Natur in der Folge des
Aristoteles und beginnt in seiner "Quantum Field Theory as a Faithful Image of
Nature“ mit vier metaphysischen Postulaten:
https://arxiv.org/abs/1509.09278 <https://arxiv.org/abs/1509.09278>
Auf Öttinger war ich gekommen, weil der einen "Dissipative Approach to Quantum Field
Theory“ vorgelegt hat, indem er im Rahmen der Thermodynamik von der
Teilchen-Erzeugung/-Vernichtung ausgehend zur QFT gelangt (der Ansatz ähnelt der
Formulierung der Quantenmechanik ausgehend vom Doppelspalt-Experiment):
https://arxiv.org/abs/2011.00369 <https://arxiv.org/abs/2011.00369>
Es grüßt,
Ingo