Am 24.04.2024 um 20:42 schrieb Claus Zimmermann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
du vermutest eine Vereinbarkeit der Gegensätze zwischen Erfahrung und Gegenständen im
Quantitativen, mir scheint es gar keinen Gegensatz zu geben. Ich nehme auch an, dass wir
zu einem Begriff der Wahrnehmung erst durch einen unproblematischen und lebensnotwendigen
der Fehlwahrnehmung aufgrund entsprechender Erfahrungen kommen, den wir dann zu
"alles nur Wahrnehmung!" verabsolutieren.
Moin Claus,
ich hatte abschließend den Übergang von Stoff zu Wahrnehmung zu Fiktion thematisiert.
„Alles nur Wahrnehmung“ wäre übervereinfachend. Dabei lassen sich beliebige Stoffe bis auf
ihre Moleküle zerkleinern, verlieren dabei aber ihre typischen Eigenschaften.
Wahrnehmungen gehen aus Gefühlen und Empfindungen hervor. Und Fiktionen können aus
Phantasien oder Träumen entstehen oder ebenso wie Wahrnehmungen aus Versprachlichungen
hervorgehen. Den sowohl quantitativen wie qualitativen Übergang zwischen Stoffen und
Wahrnehmungen bilden offensichtlich Gefühle und Empfindungen, der ja
wahrscheinlichkeitsgewichtet von Psychophysikern untersucht wird.
Dann gibt es ja auch noch Phänomene, die man ohne
prophetische Begabung und wissenschaftliche Kenntnisse vorhersagen und daher nicht als
Erfahrungen bezeichnen kann, die einem zustossen, man nennt sie Handlungen. Nicht zu
vergessen: Erfindungen. Ich erwähne das nur, um nicht das ganze Leben auf Erfahrungen zu
reduzieren.
Erfahrungen setzen wir uns aus, Handlungen beabsichtigen wir — und machen dabei in der
Regel auch unbeabsichtigte Erfahrungen. Das ist Lebensalltag. Aber wie sprengen wir den
Alltags-Rahmen? Mir reichte er schon als Kind nicht und so wollte ich zumeist aus dem
Rahmen fallen. In den 1950er Jahren hieß es noch: „Der liebe Gott sieht alles.“ Der von
Gott informierte Weihnachtsmann fragte, bevor er die Geschenke verteilte: „Bist Du denn
auch schön brav gewesen?“ Und die Kinder brachte der Storch … Das und noch viel mehr
konnte doch nicht wahr sein und so wollte ich es bis heute stets besser wissen. Rio Reiser
scheint als Kind der 1950er ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben, was sein Song „Alles
Lüge“ vermuten lässt. Im Zweifel hege ich neben Unschuldsvermutung und
Nichtexistenzannahme auch die Unsinnsvermutung (gegenüber Umgangssprachlichem). Denn wie
heißt es so schön bei Wittgenstein: „Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung
irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die
Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung
erkennen.“ Und was die Sprache nicht sagen kann, sollte die Mathematik zeigen.
Ob wir Vergangenheit und Zukunft nach dem Verlauf von
Zerfallsprozessen unterscheiden? (So habe ich das verstanden oder missverstanden -
"Auszeichnung der Zeitrichtung durch Entropie".) Wenn sich die Tasse von selbst
wieder zusammensetzen würde, wüsste ich nichts davon, bevor es geschieht, was ja die
Zukunft von der Vergangenheit unterscheidet. Beim Thema "Zeit" stehe ich
wahrscheinlich physikalisch mitten in Teufels Küche. Ich meine wahrscheinlich eher die
physikalisch so genannte Eigenzeit.
„Das „Geheimnis des Glaubens“ ist aber auch nicht zu begreifen, es muss geglaubt werden.“
So sieht es Karl, aber umgangssprachlich gibt es keine Geheimnisse, nur viel Unsinn. Ein
Geheimnis demgegenüber ist die dem Wandeln oder Bewegen folgende Zeit. Wir hatten uns
bereits vielfach darüber ausgetauscht. Deshalb nur noch eine Anmerkung über den
Zusammenhang von Entropie und Zeit. Der Kaffee wird kalt oder das Bier warm, wenn sie der
Raumtemperatur ausgesetzt werden. Der Entropiezunahme gemäß gleichen
Temperaturunterschiede sich aus. So lernte ich es später in der Schule. Wenn
Vorschulkinder mich fragen, warum der Saft aus dem Kühlschrank warm werde, antworte ich
nicht in einem Satz, sondern mit ausführlichen Erläuterungen zu den sich mit den
zunehmenden Möglichkeiten ausgleichenden Teilchenbewegungen. Hilfreich dabei sind je nach
Alter Skizzen oder Simulationen auf dem Rechner. Manche Kinder bleiben interessiert und
fragen weiter und weiter, andere wenden sich schon bald wieder ab. Später dann werden die
Interessierten die Entropiezunahme nicht nur alltags-wortreich beim Saft, sondern auch
empirisch-quantitativ auf der Nanoskala erfahren können:
https://pro-physik.de/nachrichten/entropieproduktion-auf-der-nanoskala
Zum Glück bekommen Kinder heute nicht mehr das gesagt, was schon Brecht sich anhören
musste und bis in die 1960er Jahre hinein wiederholt wurde:
WAS EIN KIND GESAGT BEKOMMT
Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit, die kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.
IT