Am 17.07.2023 um 17:50 schrieb Ingo Tessmann über
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Und wir hier in der Runde schreiben nunmehr auch schon seit einem Vierteljahrhundert
aneinander vorbei. Ich werde nicht müde, mich gegen die Kopenhagener und Du nicht müde für
sie zu schreiben. Warum hat die Kopenhagener Deutung soviel mehr Zuspruch gefunden, sowohl
unter den Physik Treibenden wie im Publikum unter dem Eindruck der unzähligen populären
Schriften? Für mich steckt neben Eitelkeiten natürlich die allgegenwärtige Propaganda für
eine idealistische Geisteshaltung dahinter. Ein entlarvendes Buch dazu hat ja Mara Beller
geschrieben, über das wir uns hier schon einmal ausgetauscht hatten: "Quantum
Dialogue: The Making of a Revolution“. Ihre Kurzfassung von 1996 ist heute frei verfügbar:
"The Conceptual and the Anecdotal History of Quantum Mechanics“. Zu einer umfassenden
Ideologiekritik des Herbeischreibens eines Umsturzes der klass. zur modernen Physik bin
ich noch nicht gekommen. Beller hätte es wohl vermocht, starb aber zu früh. Leider werden
Klein (vgl. Mail v. 19.6.) und Tschudi mit ihren statistischen Interpretationen den vielen
Quantenideologen auch nicht den Wind aus den Segeln nehmen können.
Nun, ich glaube nicht, dass ich der Kopenhagener Interpretation in toto zugeneigt oder gar
verfallen bin. Dagegen spricht schon alleine deren offensichtliche Unvollkommenheit, wie
sie in Fachkreisen auch als solche angenommen wird. Diese Interpretation hat vermutlich
deshalb hohe Popularität, weil sie für Menschen mit eher temporär flüchtigem Interesse an
der QM eingängiger ist, als etwa Everetts viele Welten Theorie.
Was nun QM resp. ihre Theorie generell anbelangt, stellt sie für mich zunächst einen ganz
klaren lebenspraktischen Nutzen dar, denn sie ermöglicht z.B. Formen von Molekülen, das
Verhalten von Halbleiterbauelementen oder etwa auch die Bahnkurve eines Lichtstrahls mit
erstaunlicher Genauigkeit zu berechnen und dieses, ohne wissen zu müssen, resp. zu können,
was da im Kleinsten vor sich geht.
So sehe ich im „Herunterbrechen“ der klassisch physikalischen Welt auf Teilchenebene
vornehmlich eine Beschreibungsmöglichkeit für diesen Skalierungsbereich und somit zeigt
mir die Kopenhagener Interpretation (in ihrer epistemischen Natur) lediglich, dass es
lebenspraktisch nicht sinnvoll ist, außerhalb resp. unterhalb möglicher Messbarkeit nach
Realität zu suchen, bzw. sie dort anzunehmen, was somit als anti-realistische Sichtweise
zu werten ist. Damit beziehe ich mich definitiv aber nicht auf per se physikalisch nicht
wahrnehmbare, resp. messbare Phänomene, wie diese im Bereich der Metaphysik (also jenseits
der Physik) aufscheinen.
Teilchen, so elementar bedeutsam sie als Konstituenten der Lebenswelt auch sind, stellen
nicht das fundamentale Gerüst der Materie dar, vielmehr sind es Felder, durchgängige
fluidartige Substanzen als Quantenfelder. Diese Sichtweise hat wohl auch einen gewissen
Bezug zur Kopenhagener Interpretation, da sie im Skalenbereich unterhalb von Messbarkeit,
somit auf Teilchenebene jegliche rational verwertbare Realität ausschließt.
Als eigentliches Kriterium der Kopenhagener Interpretation sehe ich daher die damit
postulierte Grenze zwischen klassischer Physik und QM, ohne ein eindeutig definiertes
Merkmal dafür anzugeben.
Mir erscheint die Schrödingergleichung (in deren zeitlicher Entwicklung) als das
geeignetste Werkzeug, um die Kohärenz unterschiedlicher Realitäten darzustellen, auch wenn
sie sich als solche kontraintuitiv zeigt. Diese Gleichung gilt allerdings nur für
isolierte (Quanten-)Systeme, wobei ein jeweiliges Objekt und sein Beobachter (bzw.
Messapparatur) unter dem Einfluss der Umgebung als offenes Sytem zu sehen ist und damit
einer physikalischen Wechselwirkung ausgesetzt ist, die den Zustand der Kohärenz zerstört,
also durch Dekohärenz im Sinne des sog. Quantendarwinismus die real physikalische Welt aus
der Quantenwelt entstehen lässt. Und somit ist Dekohärenz tatsächlich das „Zauberwort“ -
ich würde eher sagen wollen, ein Zauberspruch, mit dem der beschriebene Wandel (das
Herausbilden einer klassischen Welt aus jener der QM als fortwährend emergenter Prozess).
Meiner Kenntnis nach, hat man mittlerweile sehr wohl eine klare Vorstellung von
Dekohärenz, insbes. zu deren Verzögerung, wie z.B. im praktischen Prozedere für die
hinreichende Aufrechterhaltung von Kohärenz beim Q-Bit eines Quantencomputers, was bislang
nur durch extreme Kühlung des entsprechenden Quantensystems gelingen kann.
Soweit für den Augenblick. Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl