Ich habe kurz einen Blick auf den verlinkten Text geworfen, Ingo. Ich habe es zwar
teilweise nicht verstanden ("Dies sind Fragen nach Kausalbeziehungen, weil sie
Kenntnisse darüber voraussetzen, wie die Daten gewonnen wurden und nicht nur nach
Datenlage beantwortet werden können oder aufgrund...kriege ich nicht übersetzt"),
teilweise bestätigt es, was wir alle im Sprachunterricht gelernt haben: kausales Wissen
ist Steuerungs- oder Beherrschungswissen. Was muss ich tun, um ein gewünschtes Ergebnis zu
erzielen? An welchen gesellschaftlichen Stellschrauben muss z.B. gedreht werden? Der
Beweis ist, daß das Ergebnis so herbeigeführt werden kann. Wenn...dann und zwar *immer*,
wenn...dann, sonst ist es nur eine Zufallskorrelation und keine, auf die wir unseren
Allerwertesten verwetten würden.
Im Buch scheint es u.a. darum zu gehen, wie man solche Korrelationen, auf die man sich
verlässt, etwa aus grossen Datenmengen herausdestilliert. Sicher sehr interessant und
nützlich, aber ein anderes Thema.
Claus
Am 28. Dez. 2019, 16:00, um 16:00, Ingo Tessmann <tessmann(a)tu-harburg.de> schrieb:
Hi Claus,
das Problem hatten wir hier schon wiederholt behandelt. Formale
Korrelationen sind durch physische Wirkungungszusammenhänge und kausale
Modelle zu ergänzen, um als Kausalbeziehung zu gelten. Nehmen wir als
Beispiel Ignaz Semmelweis. Mit ihm begann die evidenzbasierte Medizin.
"Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“
erschien 1861. Semmelweis begann mit dem Vergleich von Sterbefällen im
Kindbett verschiedener Kliniken. Dabei fiel ihm auf, dass wesentlich
weniger Frauen an Kindbettfieber erkrankten, wenn sie Geburtshilfe von
Hebammen und nicht von Ärzten erhalten hatten.
Heute kennen wir die genauen Gründe für die Wirksamkeit der Hygiene
aufgrund der physischen Wirkungungszusammenhänge und kausalen Modelle,
wie sie in der Keimtheorie beschrieben werden. Damals handelte es sich
lediglich um formale Korrelationen, heute lässt sich die physische
Wirkungskette von den mit Bakterien infizierten Händen der Ärzte bis in
die Organe der erkrankten Frauen verfolgen.
In ihrem Artikel "A Quantum Observation Scheme Can Universally Identify
Causalities from Correlations“ weisen die Autoren darauf hin, dass „in
classic cases, it is only recently that a rigorous framework for causal
inferring has been developed“ und verweisen dabei auf das Buch
„Causality" von Judea Pearl aus dem Jahr 2009. Eine Kurzfassung findest
Du hier:
https://ftp.cs.ucla.edu/pub/stat_ser/r350.pdf
<https://ftp.cs.ucla.edu/pub/stat_ser/r350.pdf>
Obiger Artikel zur Quantenmechanik ist ebenfalls klickbar:
https://arxiv.org/abs/1903.03449 <https://arxiv.org/abs/1903.03449>
Was Hume wohl dazu gesagt hätte?
Es grüßt,
Ingo
Am 27.12.2019 um 20:03 schrieb Claus Zimmermann
via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
In einem Zeitungsartikel wird die oft gehörte Behauptung
angezweifelt, daß Musik
(gründliches Erlernen eines Instruments) schlau
mache. Zur Begründung dieser Behauptung reiche es nämlich nicht aus,
einen Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und Intelligenz
nachzuweisen. Dabei könne es sich auch um eine blosse Korrelation
handeln und nicht um einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es
könne schliesslich auch sein, daß nicht das eine auf das andere
zurückzuführen wäre, sondern beides auf ein Drittes, etwa allgemeine
Leistungsbereitschaft.
Aber niemand sagt ja, daß jede Korrelation eine
Kausalbeziehung ist.
Hume kam zum Ergebnis, daß es sich bei Kausalbeziehungen zwar
nur um
Korrelationen handele, die aber die Besonderheit aufwiesen, daß die
Erfahrung sie ausnahmslos bestätigt habe, so daß man sie am Ende für
selbstverständlich hielte.
Daß das Vorliegen einer Kausalbeziehung als
widerlegt gilt, sobald
die Korrelation nicht beobachtet wird, ist wohl allgemeiner
begrifflich/sprachlicher Standard. Wenn wir also feststellen würden,
daß gute Musiker tendenziell eher dumm sind, kämen uns zumindest
Zweifel, aber wir könnten annehmen, daß sie sonst noch dümmer wären. Um
es genauer zu wissen, würden wir die Entwicklung von Menschen
vergleichen, bei denen alle wichtigen Parameter so ähnlich wie möglich
sind und die einen ein Instrument lernen lassen, die anderen nicht.
Dann könnten wir Aussagen über eine Korrelationstendenz machen. Da wir
es hier mit Lebewesen und nicht mit Mechanismen zu tun haben, verwenden
wir wohl einen abgewandelten Kausalitätsbegriff, der sich mit
deutlichen Tendenzen begnügt und verlangen keine Ausnahmslosigkeit der
Korrelation.
Aber die Aussage des Artikels ist wohl, daß eine
Kausalbeziehung mehr
als eine durch Erfahrung bestätigte Korrelation ist. Da müsste
man dann
zurückfragen, was denn hinzukommen muss. Als Antwort würde nicht
ausreichen, das "weil" mit besonderer Betonung zu wiederholen. Es
müsste wie jedes Zeichen erklärt werden, durch eine Gebrauchsanweisung,
Beispiele, eine Demonstration oder Ähnliches.
Das war ja die Annahme und das Lebensgefühl der
Renaissanceforscher,
daß man endlich die Natur nicht mehr nur an der Oberfläche
studiere,
sondern ihr unter die Haube sähe und da die Kausalitäten am Werk
beobachten könne. Und dazu war Humes ernüchternder Einwand: unter der
Haube seht ihr auch nur Korrelationen.
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