Am Do., 29. Feb. 2024 um 16:00 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich hatte seine Bücher damals eher amüsiert gelesen
als ernst genommen.
In einem bestimmten Abschnitt von Feyerabends Werk nahm dieser meines
Erachtens auch die Rolle des "Clowns" ein.
Nachdem ihn die Publikation von "Wider den Methodenzwang" de facto zu
eine Art Outlaw der Philosophiewelt gemacht hat.
Seine Thesenbatterie ist provokant, aber doch nicht unseriös:
- Es gibt keine Möglichkeit, zwischen Pseudo-Wissenschaft und
"richtiger" Wissenschaft zu unterscheiden, weil diese Unterscheidung
schon überhaupt nicht der Realität entspricht.
- Wissenschaftlicher Fortschritt ist nicht das Ergebnis der korrekten
Anwendung einer Methode.
- Aus Sicht eines Rationalisten gilt bei der Betrachtung der
Wissenschaftsgeschichte: "Anything goes"!
- Der Wissenschaft eine bestimmte Methode extern aufzwingen zu wollen
schadet dieser und stiftet keinen Nutzen.
- Alle Erkenntnis ist abhängig von den Prämissen, in denen sie gemacht wird.
In Übrigen hat Feyerabend zu einem Zeitpunkt gelebt, in dem er das
Scheitern und die Rettungsversuche des Positivismus sozusagen in
direkter Beobachtung miterleben konnte.
Den Wissenschaften wäre Kant womöglich sogar
fasziniert gefolgt, aber zum Populismus hätte er sich keinesfalls hinreißen lassen. Kant
hätte der Populismus entsetzt und Feyerabend deprimierte, dass er wohl in den humanities,
aber kaum in der science ernst genommen wurde.
Das ist meines Erachtens eine Karrikatur von Feyerabend.
Ein Strohmann statt eines Sachargumentes.
Feyerabend selbst _ist_ den Wissenschaften gefolgt. Er hat sich Zeit
seines Lebens über Entwicklungen in fast allen Bereichen auf den
laufenden gehalten und nach eigener Aussage gehörte Lesen zu den
Leidenschaften seit seiner Kindheit.
Was Kant selbst angeht, so glaube ich sagen zu können, dass sein Werk
inzwischen von sehr vielen Denkern interpretiert und analysiert wurde.
Am Do., 29. Feb. 2024 um 12:45 Uhr schrieb ingo mack über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Kant würde mit der Quantentheorie vermutlich wenig bis
nichts anfangen können;
Feyerabend wäre empört darüber, daß ihm sein Gegenüber fortlaufend den kategorischen
Imperativ als Stoppschild vorhält.
Das glaube ich nicht.
Kant hätte in einer methodologischen Diskussion nicht derart plump mit
Ethik argumentiert und was wir von Feyerabends Persönlichkeit
geschildert bekommen haben, deutet ebenfalls in eine andere Richtung.
Er soll, im Gegenteil, seinen Gesprächspartner sehr stark gespiegelt
haben. In einer Diskussion mit Kant hätte er möglicherweise den
Eindruck eines ernsthaften Philosophen gemacht, was er z. B. gegenüber
seinen 68er Studenten nicht gemacht hat. Da versuchte er das "coole
Mitglied des Establishments" zu sein. Eine Rolle, die ihn abgekauft
wurde, wie der Umgang der Studenten (mit seinen Werk) damals bewies.
Der Königsberger Privatlehrer kann sich nicht
vorstellen, daß es einem Mitglied
der philosophischen Elite erlaubt sein könnte sich über die Bedeutung von Moral, Sitte
und
regelkonformes Verhalten einfach so (öffentlich) hinwegzusetzen.
Der preußische Philosophieprofessor war möglicherweise dieser
Auffassung; möglicherweise konnte er aber auch nicht anders.
Es gibt zumindest genug Hinweise auf eine republikanische Gesinnung bei ihn.
Was die philosophische Elite angeht, im 18. Jahrhundert gab es die
Vorstellung der "Res publica literaria". Dahinter steckt auch die
Idee, dass sich die Menschen im Bereich des Gelehrten ohne Ansehen von
Stand und Titel als Gleiche begegnen. So wie Schopenhauer einmal
schrieb, auf den Deckel des Buches gehören keine Titel, kein Doktor
oder dergleichen.
(Der Begriff "Literatur" hat seine Bedeutung verschoben. Es waren
bestimmt keine Schriftsteller hauptsächlich gemeint, wie heute.)
Die Vorstellung einer "geistigen Aristokratie" findet sich dann meines
Wissens erst im Geniekult des 19. Jahrhunderts.
Heute haben einfach so viele Menschen Zugang zur "Buchstabenrepublik"
oder zur allgemeinen Diskussion im Internet, dass wiederum künstliche
Hürden aufgebaut werden, um eine Diskussion zu ermöglichen.