Am Mo., 16. Sept. 2019 um 17:44 Uhr schrieb Claus Zimmermann
<mail(a)clauszimmermann.de>de>:
Zeichenregeln sind unsere Konstrukte und können
geändert werden. Daß
ein Satz nicht gleichzeitig im gleichen Sinn wahr und falsch sein darf, ist aber eine
so fundamentale Regel, daß wir diese Diskussion abbrechen müssten, wenn
wir uns nicht mehr daran hielten, denn wir könnten dann keine Aussagen
mehr machen, also Sätze äussern, die wahr oder falsch, aber nicht beides
gleichzeitig im gleichen Sinn sind.
Das sehe ich nicht so. Die Aussage, "es gibt Sätze, die zugleich
beides sind, wahr und falsch", impliziert keineswegs, dass ALLE Sätze
zugleich wahr und falsch sind.
Dein Einwand würde nur dann zutreffen, wenn man davon ausgehen würde,
dass dem so wäre.
Die Frage, ob etwas eine "Zeichenregel" oder ein Axiom ist, ist ein
Stück weit willkürlich. Es gibt logische Kalküle, in denen es
überhaupt keine Axiome gibt und andere, in denen es diese sehr wohl
gibt. Es wäre wohl sinnvoller, von "Prinzipien" zu reden, die dem
Systemen zugrunde liegen oder nicht. In der Tat scheinen mir die
"Relevanzlogiken" aber komplizierter als die klassischen Logik, was
wohl auch der Grund gewesen sein wird, aus denen diesen historisch der
Vorzug gegeben wurde.
Das ist natürlich nur ein subjektiver Eindruck, ein mathematisch
gebildeter Leser wird wohl mehr dazu beitragen können, die Logik
befindet sich ja in diesen interessanten Grenzgebiet.
Wie soll eine Zeichenregel durch Tatsachen bestätigt
oder widerlegt werden?
Ganz positivistisch: Sie eignet sich, die Beobachtungen auf
ökonomische Weise zu erklären oder sie eignet sich nicht dazu. Im
Falle der
Alltagsbeobachtungen ist ja jedem klar, dass man mit dem
Widerspruchssatz sehr weit kommt.
Nur sobald solche vergleichsweise exotischen Dinge wie
"Selbstbezüglichkeit", Grenzbildung usw. hinzukommen.
Das Selbstbewusstsein könnte in der Tat ein Fall von
Selbstbezüglichkeit sein. Wie "Dieser Satz hier ist falsch". Hier
denkt das
Ich über sich selbst nach und muss erkennen, dass weder die Gedanken,
noch die Sinne,
noch sonst etwas dieses "Ich" sind. Jede Einzelne Zelle, vielleicht jede
Neurone
ist verzichtbar und dennoch hat das gesamte eine unbestreitbare
Identität. Zumindest in dem
Sinne, dass diese Identität erlebt wird.
Als Beispiel
für einige Dinge, bei denen das der Fall sein könnte:
"Der Satz ist falsch", Selbstbewusstsein und Ich-Identität,
Willensfreiheit als eng verwandtes Problem und vielleicht sowas wie
das Doppelspaltexperiment. Grade in Bezug auf die Willensfreiheit
glaube ich, dass dieser Gedanke durchaus fruchtbar sein kann.
Zu "Der Satz, den du gerade vor Augen hast, ist falsch": Er ist durch
die Selbstbezüglichkeit so konstruiert, daß er wahr ist, wenn er falsch
ist und falsch, wenn er wahr ist. Er ist also in jedem Fall sowohl wahr
als auch falsch. Das ist aber in unserer üblichen Ausdrucksweise, an die
wir uns auch jetzt gerade halten, ein Formfehler. Ein Satz kann unter
der Bedingung der Falschheit eines anderen wahr sein. Dann muß es sich
aber um zwei verschiedene Sätze handeln. Mit Tatsachen hat das nur
insoweit etwas zu tun, als es sich um "sprachliche Tatsachen" handelt.
Man kann solche Paradoxien auch ohne direkte Selbstbezüglichkeiten
konstruieren. Das nennt man einen Quine, nach dem bekannten
Philosophen beannnt.
Nicht viel sinnvoller kommt mir übrigens "der
Satz, den du gerade vor
Augen hast, ist wahr", vor. Mit anderen Worten: er ist wahr, wenn er
wahr ist und falsch, wenn er falsch ist. Danke für die Information, kann
ich da nur sagen.
Auch hier gibt es Sätze, in der Tat in der Logik untersucht worden sind.
Ein Satz, der einfach stumpf seine eigene Wahrheit aussagt, ist im
Grunde nur eine Wahrheitstabelle, sagt jedenfalls die
Intuition. Es gibt aber interessante Fälle, wie etwa das Curry-Paradoxon:
Sorry wegen Wikipedia. Ich habe keine bessere Quelle zur Hand. Es kann
ja jeder selbst suchen.
Zum "Selbstbewusstsein": Dieses Wort hat
unproblematische Facetten, die
auch philosophisch uninteressant sind oder man versteht darunter
vielleicht das Bewusstsein der eigenen Existenz als einer der wenigen
Tatsachen, an der kein Zweifel möglich ist. Wenn man genauer hinsieht,
scheint sich das "ich existiere" aber in Luft aufzulösen.
Das Problem ist doch ein anderes. Dieses Ich scheint aus lauter
"Nicht-Ichs" zu bestehen.
Eine einzelne Erinnerung kann falsch sein, das hebt die Identität
eines Menschen nicht auf, eine Einzelne
Lernerfahrung ebenfalls. Wie weit dürfen wir dieses Gedankenexperiment
treiben, bis wir aufs Absurde stoßen?
Ich würde auch einsehen,
daß Sätze des Typs "das und das ist so und so" unter diesen Umständen
eventuell unpraktisch sind.
Das kann man so sehen. In der Tat handelt es sich um nicht mehr als
eine Frage der Interpretation. Weitere Klärung
wäre hier nur durch komplexere Fragestellungen zu erwarten.
Im ersten Fall folgen wir definitionsgemäß immer dem
stärksten Motiv,
denn das ist ja das, dem wir folgen. Mit Determinismus hat das aber
natürlich nichts zu tun. Die Definition ermöglicht ja keine Vorhersagen,
sondern wir müsse abwarten, was die Person tun wird.
Der Fall ist nicht ganz so einfach, glaube ich. Was ist mit Fällen, in
denen wir z. B. annehmen, das eine Person unter dem Einfluss schwerer
Krankheit, Gift oder Falschinformationen gehandelt hat. Was ist mir
Reflexhandlungen?
Was jemand so oder so tun musste, das ist eine moralisch nicht zu
verantwortende Handlung, ethnisch neutral.
Mir scheint es ja weder bei seelischen, noch bei
physikalischen
Vorgängen sinnvoll zu sein, zu sagen "es musste so kommen, alles andere
ist undenkbar".
Das ist in der Tat eine Aussage, auf die ich nicht antworten kann.
Eventuell hast du gewonnen.