Am 24.04.2024 um 13:13 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb:
Eine bloß formale Vereinbarkeit der Gegensätze wird
nur ein Anfang
sein können für weiteres Spekulieren.
Es wäre nur ein Taschenspielertrick, beides unter einem Oberbegriff der
Erfahrung zusammenzufassen. Man kann aber versuchen, zu zeigen, dass es
sich hier (Geist-Materie, Ausgedehntes-Denkendes) nicht um eine
wirkliche Unterscheidung handelt.
Was unterscheidet eine blosse Wahrnehmung oder gegenstandslose Illusion
von der Wahrnehmung eines physischen Gegenstands ("Stoff")? Die Illusion
wird entweder nicht von anderen geteilt (abgesehen von Fällen der
Massenhysterie, die aber auch festgestellt werden können) oder ist auf
besondere Umstände zurückzuführen (z.B. optische Täuschung). Ausserdem
hat der Gegenstand bestimmte Eigenschaften wie Festigkeit, Gewicht,
Trägheit, Ausdehnung, aber die könnten auch geträumt sein.
Ob man sich gerade irrt, wird durch einen Abgleich mit anderen Menschen
und anderen Situationen, Umständen festgestellt.
Hier wird wirklich zwischen verschiedenen Fällen unterschieden, damit
man nicht z.B. annimmt, im Wachzustand durch Wände tunneln zu können wie
vielleicht im Traum.
Im nächsten Schritt wird dann aus der Möglichkeit, dass man sich immer
irren kann: "Ich habe also nur meine Wahrnehmung und sonst nichts."
Dabei vergisst man, dass der Begriff der blossen Wahrnehmung oder
Illusion nur im Zusammenspiel mit dem der Tatsache etwas bedeutet. Die
Erfahrungen werden dann nicht mehr überprüft - sehen das andere auch so?
befinde ich mich in einem Spiegelkabinett? - sondern die ungeprüfte
Erfahrung wird umbenannt, man nennt sie jetzt "Wahrnehmung" mit dem
Unterton "subjektiv" (das Gegenstück sind dann prinzipiell unzugängliche
erfahrungsunabhängige Gegebenheiten), obwohl das eine Unterscheidung
voraussetzt, die man nicht mehr vollzieht.
So gesehen wäre auch Zusammenhänge zwischen Gehirnvorgängen und
Empfindungen keine zwischen innerer und äusserer Welt, sondern zwischen
zwei Erfahrungen: man sieht die Bilder des bildgebenden Verfahrens und
empfindet gleichzeitig.
Fiktionen kommen mir dagegen philosophisch harmlos vor. Ich wüsste
nicht, wie man sich da selbst missverstehen könnte. Das ist m.E. ein
speziell philosophisches Anliegen: sich selbst nicht misszuverstehen.
Claus
Am 23.04.2024 um 21:30 schrieb Claus Zimmermann
über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Mir ging es eher darum, ob sich das eine auf das andere reduzieren
lässt ("alles Stoff" oder "alles Wahrnehmung") oder es sich
vielleicht nicht um unvereinbare Gegensätze, weil immer um Erfahrung,
handelt. Müsste sich im zweiten Fall nicht beides mit den gleichen
Methoden untersuchen lassen, also der wahrgenommene Gegenstand "als
solcher", d.h. ohne ihn zu zerlegen oder Verhalten und Eigenschaften
jenseits der Wahrnehmung zu messen, auch mit denen der Physik? Eher
nicht, wenn das Ganze etwas anderes ist als die Summe seiner Teile.
Oder wenn es nicht darum geht, was er in der Erfahrung mit blossem
Auge, Ohr etc. ist, sondern wie er sich verhält, wenn er bestrahlt,
belastet, erhitzt, zentrifugiert etc. wird.
Das ist wirklich nur so eine unausgegorene Rumspinnerei.
Moin Claus,
ich vermute eine Vereinbarkeit der Gegensätze ja im Quantitativen. Wie
kann von der schnellen und kleinen Mikrowelt auf die langsame und
große Menschenwelt übergegangen werden? Durch die Wahrscheinlichkeit,
nach der die Entropie bspw. mesoskopisch langsam und wahrscheinlich
zunimmt und damit eine Zeitrichtung auszeichnet, in Atomen aber bspw.
Elektronen schnell und wahrscheinlich durch Potentialbarrieren
tunneln, wobei sie seit 2007 sogar beobachtet werden können. Siehe
dazu; "Attosecond real-time observation of electron tunnelling in
atoms: Der Tunnel-Effekt lässt sich aus dem Wellencharakter jedes
Teilchens erklären. Makroskopische Objekte besitzen allerdings eine
extrem geringe Tunnelwahrscheinlichkeit, weshalb dieses Phänomen hier
noch nie beobachtet worden ist.*
https://www.mpg.de/537610/elektronen-beim-tunneln-erwischt
Es ist auch noch nie beobachtet worden, dass sich eine auf dem
Steinboden zerbrochene Porzellantasse wieder zusammengesetzt hätte.
Noch weit über die Technik hinaus geht die Mathematik, in der gezeigt
werden kann wie die Wahrscheinlichkeiten sich über die Größenordnungen
hinweg ändern. Neben der statistischen Physik unterfällt auch die
Quantentheorie der mathematischen Stochastic. Einen
wahrscheinlichkeitsgewichteten Übergang scheint es nicht nur zwischen
Stoff und Wahrnehmung, sondern auch zwischen Wahrnehmung und Fiktion
zu geben. Eine bloß formale Vereinbarkeit der Gegensätze wird nur ein
Anfang sein können für weiteres Spekulieren.
IT
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