Hallo liebe Liste,
es ist ja ein offenes Geheimnis, dass nicht wenige Akademiker, auch
aus dem Bereich "Naturwissenschaften und Philosophie", also
"professionelle Nachdenker" über die Situation des Menschen, Gläubige
sind. Sie hängen also irgendeiner Religion an oder glauben für sich
selbst an ein höheres Wesen, das noch über den Menschen steht.
Einige von diesen Leuten glauben gewiss an einen "Lückenbüßergott",
der das erklären muss, was man grade nicht erklären kann. Etwa die
Entstehung des Universums, die Entstehung des Lebens oder des
Bewusstseins.
Eine andere Gruppe bedient sich Gott als einer unfehlbaren Stütze der
Moral. "Würde ein allwissendes Geschöpf, dessen Motive ausschließlich
gut sind, das als gut ansehen?", Gott ist dann paradoxerweise eine
Metapher für die Gesamtheit der Naturgesetze, was in eigentlicher Rede
auf die Theorie hinauslaufen würde, dass die Guten belohnt und die
Bösen bestraft werden. Das impliziert durchaus einen viel tieferen
Glauben als schlichte Moral.
Es gibt aber auch einen Weg, der mir häufiger begegnet ist. Hier
besteht der eigentliche Glaube darin, dass Gott die menschliche
Vernunft übersteigt und damit auch keine Erkenntnis der Wissenschaften
mit ihn in Widerspruch stehen kann.
Im Grunde genommen handelt es sich um einen bekannten Topos der
sogenannten "negativen Theologie".
In der monotheistischen Tradition leitet sich dieser Gedanke vor allen
Dingen vom Bilderverbot ab, es heißt im 5. Buch Mose 5:8, dass man
sich weder ein Bildnis Gottes, noch ein Gleichnis machen soll. Manch
einer mag bemerkt haben, dass im 2. Buch Mose 3. Kapitel sich Gott
einen Namen gibt. Im Grunde kann jede religiöse Offenbarungsliteratur
als eine Form der "Verbildlichung" verstanden werden, insofern der
Gläubige auf die Frage "Wer ist denn der Gott, an den du glaubst?"
immer antworten könnte "Es ist der Gott der Schrift". Wobei mit
Schrift immer jeweils das eigene Buch gemeint ist.
Ganz abgesehen von den Charakterisierungen Gottes durch die sog.
"natürliche Theologie" wie Allmacht, Allwissenheit und Allgüte.
Der Philosoph Hilary Putnam hat sich dieses Problems vor über 20
Jahren in einer kleineren Schrift angenommen:
»On Negative Theology (Hilary Putnam), Faith and Philosophy 14
(4):407-422 (1997)«
doi:10.5840/faithphil199714442
Darin wird einiges philosophisches Handwerkszeug zur Klärung der im
Kern religiösen Frage herangezogen verwendet, wie Kripkes Theorie der
Namens als "starre Bezeichner" oder Wittgensteins Lehre vom religiösen
Sprachspiel (die mir unbekannt war), doch scheinen mir zwei Dinge an
diesen Aufsatz sehr dunkel zu sein:
1.) Wenn man wirklich so weit geht und sagt, dass selbst die Aussage
"Gott ist" im Sinne von "Gott existiert" (natürlich mit ihrer
jeweilige Negation ebenfalls) eine unzulässige Analogie zu den Dinge
unserer Welt ist -- und der Text scheint diese Ansicht bei Putnam an
einigen Stellen zu implizieren, u. a. wenn er schreibt, dass für die
Religiösen Gott nicht einfach Teil der Wirklichkeit ist, sondern
etwas, demgegenüber unsere Wirklichkeit unwirklich ist -- , wie kann
ein Gläubiger in diesen Sinne überhaupt zwischen einer falschen Lehre
über Gott und einer funktionierenden, aber anderen Lehre
unterscheiden?
In wie fern kann Gott überhaupt mit Propheten interagieren?
2.) Führt diese Idee nicht zu einem Bruch zwischen der Lehre der
"natürlichen" oder rationalen Theologie auf der einen Seite und der
Lehre der Offenbarungsreligionen auf der anderen Seite, was aber
wiederum der negativen Theologie den Boden entzieht?
Immerhin ist die Idee von Gott als das "Maximum des Seins", der
unbewegte Beweger usw. letztlich durch die Philosophen des Altertums
entwickelt, wohl, um die Entstehung der Welt zu erklären und dabei den
ungeliebten Götterhimmel loszuwerden. Die vielen Götter der Griechen
waren einerseits ein schlechtes Vorbild, blockierten aber andererseits
die säkulare Naturerklärung durch die Philosophen. Der Gott
Aristoteles (und in gewisser Hinsicht der aller heutigen
monotheistischen Religionen) dagegen zieht sich aus dem gewöhnlichen
Naturgeschähen zurück und überlässt diesen seinen eigenen Gesetzen,
verbleibt aber für einige philosophische Aufgaben aktiv.
Der Gott der Offenbarungsreligionen fordert zwar einerseits das
Bilderverbot, führt aber andererseits wiederholt Taten aus, die ein
irdisches Bild aufkommen lassen. Er erschafft den Menschen nach seinen
Ebenbild, er teilt das Meer usw.
Mir ist klar, dass es in der traditionellen Auffassung der Religion
neben der "negativen Theologie" immer auch eine "positive Theologie"
gab. "Negativ" meint hier im Sinne von "Negation", dass Gott gewisse
Eigenschaften abgesprochen werden, "positiv" meint das zusprechen
gewisser Eigenschaften. Eben die klassischen Omi-Eigenschaften wie
Allwissenheit, Allgüte und Allmacht, die aber grade ein Grenzfall zur
negativen Theologie darstellen. Man darf nämlich das "Allmacht" nicht
einfach als eine besonders große Art der Macht denken, sondern
vielmehr als etwas, dass über normale Macht hinausgeht.
Man möchte sich fast die ketzerische Frage stellen, ob die
ursprüngliche Adressaten der Offenbarungstexte und ihre Empfänger
schon auf diese Abstraktionsniveau dachten oder ob man sich damals ein
allmächtiges Wesen nicht anders vorstellen konnte als in der Rolle als
großer Kriegsherr, als jemanden, den man im Tempel opfern musste oder
in vergleichbar irdischen Rollen.
Wie dem auch sei, was denkt die Liste zu diesem thema?
Der, wie immer, Ratlose.