Am 20.06.2023 um 10:27 schrieb Ingo Tessmann über
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Moin Karl,
wie kommen mathematisierte Außenwelt und versprachlichte Innenwelt, Zahlen und Worte,
zusammen? Husserl kontrastierte Arithmetik und Phänomenologie. Er beklagte die
Arithmetisierung, ich beklage die Phänomenologisierung.
Phänomenologisierung mag man beklagen, wie alle Denkrichtungen, die sich auf einen
bestimmten Gesichtspunkt fixieren und versteifen, doch Phänomenologie an sich als
beklagenswert zu sehen erscheint mir geradewegs als einseitige Kontrastrierung, weg von
den Dingen der Realwelt – hin zu eben dieser Arithmetisierung, die den Fokus auf das rein
Messbare, Berechenbare richtet. Es fehlen dann die nicht konkret ausdrückbaren
Zwischentöne, die eigentliche Qualia der Lebenswelt.
Husserls Phänomenologie gründet sich bekanntlich auf Brentanos Begrifflichkeit von
Intentionalität als ein mentales Geschehen, bei dem eine bewusste phänomenale Wahrnehmung
erfolgt, die man im Bereich der Philosophie als Qualia beschreibt. Diese Intentionalität
steht einer pur materiellen Weltsicht entgegen, da phänomenales Empfinden
naturwissenschaftlich bislang nicht beschreibbar ist. Da bleiben dann nur die von Dir
kritisierten Denkmuster, wie diese sich in der Phänomenologie ausdrücken, ebenso wie
metaphorische Ausdrucksformen.
Was nun Dein Klagelied gegen die Phänomenologie anbelangt, fehlt hierzu eine stichfeste
Begründung.
Husserl, der (wenngleich in Anlehnung an Brentano) als Begründer dieser Denkrichtung gilt,
war zunächst selbst Naturwissenschaftlicher und hat mit seiner späteren Hinwendung zur
Philosophie genau das betrieben, was Du zuletzt hier eingefordert hast: das Zusammendenken
von Naturwissenschaft und Philosophie.
Husserl blieb gegenüber ersterer insoweit kritisch, als er in deren als Annahmen
formulierten Aussagensätzen die Fixierung auf ein pur materielles Weltgeschehen ausmachte,
die somit weit hinter den eigentlichen Möglichkeiten zur Erkenntnisgewinnung
zurückbleiben. Deshalb forderte er „Zu den Sachen selbst!“ Das heißt nichts anderes, als
eine Reduktion auf die wesentlichen Erscheinungen dieser Lebenswelt vorzunehmen und damit
ergibt sich tatsächlich eine Kontrastrierung des eigentlich Wesentlichen und somit handelt
es sich bei der Phänomenologie um eine spezielle Art von Erkenntnistheorie, die
vornehmlich danach fragt, was grundsätzlich vom Menschen von seiner Lebenswelt erkannt
bzw. gewusst sein kann.
Diese im wissenschaftlichen Sprachgebrauch als phänomenologische Reduktion benannte
Denkrichtung enthält sich jeglicher transzendentalen Komponente und müsste damit
geradewegs Deiner Weltsicht entsprechen.
Bester Gruß! - Karl
Dass Menschen dazu neigen, stets ihrem Erleben zu
folgen, hat die Katastrophenlage seit Husserl dramatisch verschärft; gerade weil Menschen
qualitativ grenzenlos und nicht quantitativ beschränkt leben. Daran hatte ja schon Malthus
Kritik geübt. Phänomenologie verschärft den Anthropomorphismus, dabei kommt es darauf an,
ihn zu begrenzen. Nunmehr ist es längst zu spät und die Naturnotwendigkeiten nehmen ihren
Lauf. Wissenschaftler warnen weiter und Künstler schmücken Zukunftsszenarien aus, wie
bspw. in Viallet’s Doku „Die Erdzerstörer“, Boyle’s Roman „Blue Sky“ oder in Burns'
Serie „Extrapolations“. Sprachdisziplinierung wird dem ebenso wenig beikommen wie eine
erweiterte Bewusstseinskultur. In der Philosophie wird die Welt bloß interpretiert,
während Menschen sie Macht und Geld folgend weiter ruinieren.
IT
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