Am Sa., 7. Sept. 2019 um 23:21 Uhr schrieb Claus Z.:
Die Verneinung ist doch dadurch definiert, daß sie den Wahrheitswert
einer Aussage umkehrt.
Zu diesem Thema hat Wittgenstein schon mal in den Philosophischen
Untersuchungen etwas geschrieben. Er erkannte nämlich bereits, dass es
anscheinend zwei Typen von Negation in unserer Sprache gibt. Einmal
eine Art Spiegel, in dem das Gegenteil wahr ist und ein anderes Mal
eine Art "Nein".
"Ich habe nichts... nicht getan" würde wohl niemand, der nicht grade
Logiker, Philosoph, Informatiker oder Mathematiker ist, so
interpretieren, dass diese Person den Sachverhalt bejahen will.
Dagegen "Du hast nicht unrecht" sagen will, dass da was dran ist.
Was die Logik angeht, kenne ich natürlich die Definition der Negation
¬A ist wahr gdw. A falsch ist und umgekehrt.
Wer also einer Aussage und ihrer angeblichen
Verneinung gleichzeitig in
gleichem Sinn den gleichen Wahrheitswert zuschreibt, hält sich nicht
an diese Verabredung.
Ich glaube, der Punkt liegt eher bei den Wahrheitswerten.
Was ist, wenn es eine Aussage gibt, die mit Recht sowohl wahr als auch
falsch sein kann?
In der Mathematik oder in der Justiz betrachten wir mit einigen Recht
nur solche Systeme, die konsistent sind. Das bedeutet aber nicht
zwingend, dass alle Beschreibungen der Realität so sein können.
Als Beispiel für einige Dinge, bei denen das der Fall sein könnte:
"Der Satz ist falsch", Selbstbewusstsein und Ich-Identität,
Willensfreiheit als eng verwandtes Problem und vielleicht sowas wie
das Doppelspaltexperiment. Grade in Bezug auf die Willensfreiheit
glaube ich, dass dieser Gedanke durchaus fruchtbar sein kann.
Ich bleibe bei dem Punkt einen Augenblick lang stehen:
Egal welche Handlung ein Mensch vollbracht hat - ob er heldenhaft
jemanden gerettet hat oder ein Mörder war - , wissenschaftlich, d.h.
psychologisch, soziologisch, verhaltensbiologisch usw., lassen sich
immer gewissen Gründe angeben, aus denen heraus er (oder sie)
gehandelt hat. Genauso wie in der Physik ein Physiker nicht eher ruhen
wird, bis er eine Theorie für ein Phänomen gefunden hat.
In der wissenschaftlichen Perspektive auf den Menschen gibt es keinen
Platz für den freien Willen, für autonom Entscheidungen.
Wenn ich aber nun weiß, dass gewisse Naturgesetze zu einem Ergebnis
geführt haben, darf ich dann ernsthaft jemanden dafür verurteilen?
Ich glaube, dass wir es hier mit einen wahren Widerspruch zu tun
haben. Einerseits ist der Mensch eine komplexe elektro-chemische
Reaktion (1), die theoretisch durchaus durch Naturgesetze vorhersagbar
ist, andererseits ist er gleichzeitig und in der selben Art und Weise
auch der ethischen Urheber seiner Handlungen und voll verantwortlich.
Weil es sich um eine Sprachform und nicht um eine
Behauptung handelt, erscheint mir die Forderung nach einem Beweis unangemessen.
Es gibt durchaus Denker, die dieser Sprachform zu widersprechen
scheinen. Hegel etwa oder in der Mathematik die Intuitionisten oder
eben gewisse fernöstliche Religionen.
Nun muss ich zugeben, dass ich gegen Hegel auch immer gewisse
Vorbehalte habe. Ich vermute, dass da vieles künstlich aufgeblasen
wurde und insbesondere scheint mir seine Lehre aus anderen Gründen
gescheitert.
Kleine Anmerkung zu 1:
Auch die Annahme von irgendwelchen Hyperraum-Energien,
nicht-ausgedehnten Substanzen oder dergleichen hilft uns nicht weiter.
Offensichtlich ist der Mensch in einem Kausalnexus gefangen.
Es stellt sich auch niemand die Frage, warum z. B. die alten Ägypter
nicht nach Amerika gereist sind oder keine Demokratie errichtet haben.
Das bedeutet, schon einem kleinen Kind ist klar, dass die Bedingungen
des alten Ägyptens eine Demokratie eher nicht zugelassen hätten.
Das heißt, sofern jemand nicht die Theorie vertritt, dass der Mensch
eine Art "metaphysischen Zufallsgenerator" in seinen Kopf hat, hilft
uns das wenig weiter. Auch soziologische oder psychologische
Erklärungen für Verhalten stellen eigentlich eine Gefahr für die Idee
des freien Willens dar.
Schreibe ich das hier, weil ich mich dafür entschieden habe oder als
die Wirkung von tausend Ursachen?
Meine Antwort wäre: Beides, auch wenn es sich ausschließt.