Am 10.07.2024 um 15:53 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ok, irony off: aber damit wäre dann ja auch fast alles zur Tragweite dieses
Erklärungstyps gesagt, denn man hätte damit beide Seiten gleichermaßen psychologisierend
„abgefertigt“ und wir stehen bei der eigentlich philosophisch interessierenden Frage
dieser Kontroverse, wie ich vermutet hatte, wieder ganz am Anfang.
Moin Joachim,
ich hatte ja auf das Zusammendenken von HADD und IREM verwiesen, wie es N. Van Leeuwen und
M. van Elk vorschlagen in: "Seeking the supernatural: the Interactive Religious
Experience Model.“
Daraus folgende Zitate als Übersicht:
"Lesson 1: human psychological capacities for detecting other agents do not take the
form of a simple modular device (a HADD); rather, there are different agency-detecting
cognitive capacities, some of whose underlying mechanisms serve other purposes as well.
Lesson 2: there may be weak causal links from agency-detection biases to having religious
beliefs. But the cultural-social environment does much more to determine whether or not
one has religious beliefs at all.
Lesson 3: thinking about supernatural agents activates the ToM network, which underwrites
attributions of intentional states to various perceived or believed-in entities.
Lesson 4: though there are many sources of intuition and low-level experience, intuition
and low-level experience are not sufficient for belief: believers learn many aspects of
the contents of their religious beliefs from their surrounding cultures.
Lesson 5: while cultural learning largely accounts for general religious beliefs, it is
inadequate on its own to explain the many personal beliefs that religious believers form
and value.
IREM: Religious believers arrive at general beliefs about supernatural agents mostly by
way of cultural learning from others in their society. But given their general background
religious beliefs, believers may further seek experiences that allow them to form personal
religious beliefs as well.
Hypotheses and predictions: the IREM research program
Importantly, IREM supports novel and testable hypotheses that can form the starting point
of a research program. Below we canvass some of IREM’s suggested hypotheses and empirical
recommendations.
First, IREM explains why some but not all religious believers have agency-like
experiences.
Second, IREM suggests the empirical utility of a systematic investigation of the different
circumstances that are well suited to generate agency-intuitions.
A third recommendation of IREM is to map out the different psychological mechanisms
whereby agency-intuitions form the basis for personal religious beliefs.
A fourth implication of the IREM framework is that differences in mentalizing abilities
(e.g., as observed in autism) should affect the endorsement of personal religious beliefs,
even if those differences don’t much affect general beliefs.
Fifth, IREM predicts that specific types of agency experience will differ as a function of
the practices encouraged within one’s community.“
Für mich gehört das Zusammendenken verschiedener Ansätze und Theorien auch zum
Philosophieren. Dabei haben die Fachwissenschaften den Vorteil, dass in ihnen nicht nur
fabuliert wird, sie vielmehr empirische Einsichten anhand testbarer Hypothesen
ermöglichen.
Noch ein Wort zur „Beweislast-Umkehr“ (die du mir
vorwirfst): meine Anregung mit der Adaption des „Wunder“-Arguments war ja genau die, keine
Beweislastpflichten mehr zuzuweisen, sondern den reinen Fakt des zweitausendjahre alten
Glaubens als „Beweis“ gelten zu lassen. Wie bei dem Streit Realismus vs. Konstruktivismus
eben: niemand muß mehr etwas „beweisen“, sondern daß die Technik funktioniert, IST schon
der Beweis. Das schien mir der Kniff des Arguments. Aber vielleicht kann man ihn
tatsächlich nicht so anwenden, wie ich das unorthodoxerweise vorgeschlagen habe.
Ich hatte mit meiner Kritik zur Beweislastumkehr den Bezug aufs Glauben gemeint. Für mich
liegt die Beweislast immer beim Behauptenden. Zuletzt hatten wir das hier ja am Beispiel
der Brandmauer in der Politik exemplifiziert. Und beim Wunder-Argument hatte ich an
physikalische Sätze gedacht, nicht an die funktionierende Technik. Aber im Experiment
kommen ja beide Bereiche zusammen. Den Ingenieur reicht das Funktionieren, der Physiker
will auch wissen, warum Technik funktioniert. Auf die Religion bezogen, ginge es
entsprechend um eine substanzielle bzw. funktionalistische Deutung. Für die jeweiligen
Machthaber funktionieren Religionen seit Jahrtausenden, aber haben sie auch Substanz? Das
wären Themen der Religionssoziologie und der (analytischen) Religionsphilosophie.
Und jetzt lese ich mal bald noch Gödels Gottesbeweis
nach, denn den hab ich auch bisher versäumt.
Falls Du meine damalige Mail an RF nicht schon gelesen haben solltest, hier ein Auszug:
„Erst der Informatiker Benzmüller konnte Gödels Beweis durch Nachrechnen berichtigen und
nachvollziehbar machen. Und so sehe ich es umgekehrt als ein Problem der axiomatischen
Theologie an, dem Anspruch Leibnizens gerecht werden zu wollen, von einer Möglichkeit auf
eine Notwendigkeit zu schließen:
ANDRE FUHRMANN, „Existenz und Notwendigkeit, Kurt Gödels axiomatische Theologie“ ist hier
klickbar:
https://user.uni-frankfurt.de/~afuhrman/downloads/GoedelExistenzNotwendigke…
Ich nehme an, Du kennst Fuhrmanns Untersuchung zu „Existenz und Notwendigkeit“ von 2005.
Dort axiomatisiert er die Modalitäten „möglich“ und „notwendig“ bzgl. möglicher Welten
derart, dass er Leibniz und Gödel gerecht zu werden vermag.
Für die meisten Gläubigen dürfte ein Logott so belanglos sein, wie das vielfach zur
Floskel verkommene „Friede sei mit euch!“ eines Christen wie Kyrill im Pakt mit Putin.“
IT