Ich wollte, wenn ich mich richtig erinnere, unterscheiden zwischen einerseits Gesetz mit
Tatbestand und Rechtsfolge und andererseits einem Sinn für gut und böse. Das Gesetz kann
zumindest in eindeutigen Fällen auch von einer Maschine angewandt werden. Sie würde
einfach die Tatbestandsvoraussetzungen abklappern, mit dem Sachverhalt vergleichen und
käme dann zum Schluss, ob hinter alle Voraussetzungen ein Haken gemacht werden kann oder
nicht. Vom Sinn der Sache - daß es etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat - denn auch wer als
Gesetzgeber tatsächlich ganz andere Zwecke verfolgt, redet immer noch von Gerechtigkeit -
muss sie nichts wissen und das kann man ihr nicht eintrichtern.
Zur Gewaltenteilung: Sie wird nicht dadurch durchbrochen, daß das Verfassungsgericht die
Vereinbarkeit einfacher Gesetze mit der Verfassung überprüft.
Ob es Gesetze gibt, die überall befolgt werden, scheint mir eine Tatsachenfrage und damit
kein Thema für eine Disziplin zu sein, die Gedanken ordnen soll. Meinungen und auch
Wertvorstellungen ändern sich ständig, aber niemand lässt sich z.B. gern misshandeln. Eine
"Verrechtlichung der Menschlichkeit", die nicht ins Detail geht, hätte
vielleicht ganz gute Chancen auf allgemeine Anerkennung. Es kommt natürlich auf die
Fragestellung an. Fragt man z.B. "Möchtest du, daß dir westliche Konzepte
übergestülpt werden" oder "Möchtest du, daß deine Regierung mit dir machen kann
was sie will und dir keine Rechenschaft schuldig ist?"
Grüße, Claus
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag <rat96frag(a)gmail.com> Datum:
15.04.18 11:34 (GMT+01:00) An: Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de> Cc:
philweb <Philweb(a)lists.philo.at>at>, "K. Janssen"
<janssen.kja(a)online.de> Betreff: Re: [Philweb] Begründung und Rechtfertigung von
Normen anhand anderer Normen
Am 23. Januar 2018 um 17:24 schrieb Claus Zimmermann
<Zimmermann.Claus(a)t-online.de>de>:
Im Allgemeinen redet man von richtig und falsch in
Verbindung mit
Aussagesätzen. Sie gelten als wahr, wenn die Eigenschaften des Gegenstandes,
über den etwas gesagt wird, die Merkmale des ihm zugeschriebenen Begriffs
ausfüllen.
Sie gelten als wahr, wenn dem Ding die ihn zugesprochene Eigenschaft zukommt. Die
Kriterien sind nur die Methode, in der wir das entdecken.
Das ist ein Unterschied. Oder kann einer sein.
Das ist aber ein rein formales Kriterium, bei dem es
auf den Inhalt insofern
nicht ankommt, als er prinzipiell beliebig sein kann.
Ja und Nein zugleich.
Der Sachverhalt ist in diesem Fall extrem komplex. Was teils mit dem Gegenstand zu tun, z.
T. aber auch bewusst herbeigeführt wurde. Anwälte usw. haben kein besonderes Interesse an
einfachen Gesetzes, zu deren Verständnis sie überflüssig wären.
Fakt ist, dass:
1. Die Gewaltenteilung impliziert, dass die Richter sich nicht als
"Schattenregierung" oder Konkurrent zur Legislative betätigen sollen. Sprich:
Die Gesetzgebung und die Richtung der Politik liegt bei den Politikern. Die Richter haben
demnach "nur" die Aufgabe, Gesetze auf Einzelfälle anzuwenden und exekutive
Willkür zu verhindern.
2. In der Realität haben wir es mit bedeutend komplexeren Sachverhalten zu tun. Das
Bundesverfassungsgericht etwa hat in den letzten 20 Jahren wiederholt die
Voratsdatenspeicherung verhindert, theoretisch und auch praktisch gegen den Willen des
Gesetzgebers. Das neue Urteil über die Grundstückssteuer ist ähnlich vielsagend.
In den USA gibt es die berühmt-berüchtigte Entscheidung "Roe v. Wade", in der
Abtreibung legalisiert wurde.
In Frankreich und Großbritannien ist die Sache noch um einiges komplexer...
Tatsächlich können Gerichte sich auf gewisse "übergesetzliche Grundsätze"
berufen und dabei bis in die Bereiche der anderen Gewalten eingreifen. Beispielsweise
Verhältnismäßigkeit, Privatsphäre usw.
Ob man bei der Mustererkennung hier lieber von
moralischer Intuition oder
vom "Herzen auf dem rechten Fleck" redet, dürfte in der Sache keinen
Unterschied machen. Es dürfte aber ein ziemlich weiter Weg von hier zur
Aufstellung oder Auffindung gesetzesförmiger objektiver moralischer Normen
sein, falls das überhaupt möglich ist.
Eventuell würde es für die Gründlichkeit sinnvoll sein, zwischen objektiven und
allgemeingültigen Normen zu unterscheiden. Jedenfalls ist es unbedingt wichtig, zu
unterscheiden zwischen Normen, die einen universellen Anspruch proclamieren und solchen,
die tatsächlich allgemein gelten.
Klassisches Beispiel für einen universellen Anspruch sind sicherlich die Gebote der
meisten großen Religionen, jedenfalls der "monotheistischen",
"abrahamitischen" oder wie man das nennen will. Diese Normen sagen zwar von sich
selbst oder lassen die Absicht erkennen, dass sie für alle Menschen zu allen Zeiten gelten
sollten, tatsächlich ist das natürlich nicht der Fall. Die Leute, die man als
"Heiden" bezeichnen könnte, haben sich nicht daran gebunden gefühlt und andere
Anders- oder Ungläubige tun dies bis zum heutigen Tag nicht. Es ist sogar der umgekehrte
Fall auszumachen. Die zunehmende Aufspaltung in Konfessionen und die historisch-kritische
Methode erkennt immer mehr die "Bedingtheit" vieler dieser Gebote oder
interpretiert sie um.
Schon die Behauptung, dass es wirklich universelle Normen gibt, ist umstritten.
Das Pro-Lager könnte auf die sog. "Goldene Regel" oder den verwandten
kategorischen Imperativ verweisen. Nur sind das höchst abstrakte "Meta-Regeln",
die zudem mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden können. Ebensogut könnte man die
Regel "nichts unmögliches darf obligatorisch sein" verweisen. Wobei auchdas in
Teilen nicht stimmt.
Das Pro-Lager hat, glaube ich, seine stärksten Argumente tatsächlich im Bereich der
menschlichen Verhaltensbiologie. Dort gibt es gewisse Verhaltensweisen, die man bei
anderen Primaten auch findet und die in verschiedenen Kulturen auf die eine oder andere
Art verwirklicht werden.
Das Contra-Lager kann natürlich immer darauf verweisen, dass fast in jeder Kultur alle
Verhaltensregeln wie selbstverständlich gebrochen werden und häufig ein Verhalten, das in
einer Kultur als schädlich gilt, in einer anderen sogar erwünscht ist.
Allerdings muss auch das Contra-Lager einige Kritik einstecken. So sind die Regeln, alles
in allem gesehen, nicht soo schrecklich unterschiedlich. Man kann auch unterscheiden
zwischen "rituellen" und "moralischen" Geboten. Erstere beziehen sich
auf das Verhältnis der Menschen zum Überirdischen, letztere auf die von Menschen
untereinander. In unserer Kultur mag der Drogenkonsum eingeschränkt, unerwünscht und
bekämpft sein, in anderen nehmen Schamanen Kontakt zur anderen Welt damit auf. Einige
jagen bestimmten Tiere nicht, weil sie ihr Tabu sind, andere tun dies nicht, weil sie vom
Aussterben bedroht sind.
Ebenso gibt es "Anstandsregeln", die man verletzten kann, ohne deshalb unbedingt
als schlechter Mensch zu gelten.