Ging wohl noch an die alte Adresse, daher noch mal.
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Von: Date: Sa., 10. Apr. 2021 um 10:24 Uhr
Subject: "Welanschauungspsychologie": Ein Blick auf die "Welträtsel".
To: Philosophisches Diskussionsforum <philweb(a)philo.at>
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
Liebe Liste,
der folgede Text ist im engeren Sinne eigentlich keine Philosophie.
Ich versuche darin nur, einige Gedanken zu verschriftlichen und
vielleicht zu konservieren, die mir gekommen sind. Um keinen Anstoß zu
erwecken bitte ich daher darum, der geneigte Leser möge diesen Text
als eine Art (wenn auch schlechten) Essay betrachten.
Es gibt bestimmte, sinnvolle Fragen, die zwar prinzipiell sinnvoll zu
sein scheinen, aber sich nicht direkt Beantworten lassen.
Einige dieser Fragen lauten etwa: "Ist das Universum unendlich oder
von endlicher Größe?"
"Ist der Determinismus korrekt? In der heutigen Sprache formuliert:
Lässt sich jeder Vorgang durch physikalische Gesetze voraussagen?"
"Gibt es sinnvolle Aussagen, deren Wahrheitsgehalt sich prinzipiell
nicht entscheiden lässt?"
"Gibt es einen Gott?"
"Wie korrekt ist die menschliche Wahrnehmung?"
Vielleicht auch: "Sind Menschen, so wie homo sapiens real ist, ein
typischer Beobachter des Kosmos?"
"Was hat es mit dem Guten im Sinne von Moral und Ethik auf sich?"
"Was ist Bewusstsein nun eigentlich?"
Solche Fragestellungen wie "Gibt es (synthetische) Apriori?", "Werden
mathematische Sätze entdeckt oder erfunden?" oder "Was ist der Sinn
des Lebens?" klammere ich an dieser Stelle mal aus. Es besteht der
Verdacht, dass hier die Stellung der Frage schon eine wesentliche
Rolle spielt.
Sowas wie das moralisch Gute oder Bewusstsein rücken ebenfalls in die
Nähe. Es sind wohl philosophische Fragen, doch keine Welträtsel in
diesem Sinne.
Im Falle der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt (=Universum)
lässt sich etas veranschaulichen. Grundsätzlich gesehen handelt es
sich um eine empirische Fragestellung. Man kann sie nicht durch rein
apriorische Gedankengänge beantworten, sondern man braucht dazu
weitere, externe Daten.
Nun ist aber klar, dass der Mensch ein endliches Wesen ist. Daraus
folgt, dass die Menschen immer nur einen endlichen Ausschnitt der Welt
als Ganzes sehen können, gleichgültig ob die Welt unendlich oder
endlich ist.
Man könnte zwar theoretisch irgendwo an eine Grenze stoßen, falls es
aber keine gibt und es immer weiter geht, dann würden die Menschen das
nicht ausmachen können.
Es wäre der direkten Beobachtung entzogen. Allenfalls könnte ein
unendlicher Kosmos eine logische Schlussfolgerung aus einer
wohlbestätigten, wissenschaftlichen Theorie sein, etwa die Theorie des
multiplen Endes der kosmischen Inflation. Wobei man hier dann in die
mathematischen Details einsteigen muss, um sinnvoll darüber zu
diskutieren.
Wenn wir aber davon ausgehen, dass es eine Theorie wie oben genannt
nicht gibt, und die Frage selbst der direkten Beobachtung entzogen
ist, dann muss man sich fragen, wieso einige Autoren diese Frage
beantwortet haben wollen.
Da eine rein rationale Antwort, basierend auf logischen
Schlussfolgerungen oder empirischen Beobachtungen oder irgendwelchen
apriorischen Erkenntnissen scheidet aus. Ergo muss die Antwort einen
irrationalen Anteil besitzen. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein
psychologischer Impuls eine Rolle spielt. Gleichgültig ob es ein
individueller oder für homo sapiens allgemeiner ist.
Der moderne Materialist oder "Naturalist" scheint dabei die folgende
Variante zu bevorzugen: "Welt endlich", "Determinismus ja",
"Empirische Fragen beantwortbar", "Kein Gott" und "menschliche
Wahrnehmung spiegelt die Realität wider".
Daraus ergibt sich das Bild einer Welt als Uhrwerk. Ein kausal
determinierter, endlicher Raum, in dem es weder Platz für Götter oder
Geister, noch für einen freien Willen gibt. Das Gewissen ist im
Wesentlichen das Ergebnis von Natur- und Kulturentwicklung des
Menschen, das durch Erziehung eingeschärft wird. Man ist auch naiver
Realist, die Welt ist grundsätzlich so wie sie zu sein scheint und die
Ausnahmen sollte man nicht übertreiben. Wir leben also nicht in der
Matrix (der Computersimulation einer weit überlegenen Zivilisation)
oder sind der "Traum eines Schmetterlings" (oder irgendein Traum).
Keine dieser Aussagen ist offensichtlich falsch, auch wenn einige doch
umstritten sind. Beispielsweise versuchen diese Leute den objektiven
Zufall aus der Physik mit Hinweis auf die Begrenztheit unserer
Theorien loszuwerden. Man schließt sich dann "verborgenen
Variablen"-Deutungen an mit dem Argument, dass nur kausale Erklärungen
überhaupt Erklärungen seien, "Reduktionismus". Viele dieser Ideen sind
auch intuitiv sehr einleuchtend, was sie aber ja nicht wahr macht.
Meines Erachtens erkennt man in diesen Antworten allerdings schon,
welche hintergründigen Anreize sie ihren Anhängern verschaffen. Sie
schließen nämlich solche Dinge wie immaterielle Geister aus.
Aufgabe der Wissenschaft ist es, das Uhrwerk besser zu verstehen.
Der Materialist hat aber das grundsätzliche Wesen der Welt bereits
erfasst. Es ist materiell.
Nun gibt es aber Leute, die die Frage danach, wie typisch der Mensch
als Beobachter eigentlich ist, in den Vordergrund rücken wollen.
Unsere Sonne ist beispielsweise nach aktuellen astronomischen
Erkenntnissen nicht vom verbreitetsten Typ von Sonnen überhaupt.
Wenn wir davon ausgehen, dass sich durch Kenntnis der Bewegungsgesetze
und der Anfangsbedingungen, die Entwicklung des gesamten Universums
zumindest theoretisch sauber herleiten lässt, dann landen wir bei
einer Folgefrage. Wieso waren die Anfangsbedingungen grade so?
Warum kommen grade wir, warum grade ich zu stande? Wieso ist das
Sonnensystem nicht ein bisschen anders?
Ein beliebter Ausweg ist da die Annahme eines Gottes, der die Welt
just so eingerichtet hat, dass Menschen entstehen. Warum Gott das
gemacht haben soll, bleibt rätselhaft, aber er wird sich etwas dabei
gedacht haben. Damit wäre auch die Frage nach dem Sinn hinfällig. Die
Absicht des Schöpfers und Planers sind der Sinn.
Viele modernere Denker dagegegen drehen etwas an der Frage nach der
Endlichkeit. Ist die Welt unendlich, konnte jede Anordnung von Materie
irgendwann mal vor, zwangsläufig. (Gleichgültig, ob zeitlich oder
räumlich unendlich.) Die Frage nach der spezifische Anordnung ist
damit hinfällig. Man holt sich damit zwar viele andere Konsequenzen
ins Boot, aber damit kann man umgehen.
(Das ist übrigens keine zwingend logische Schlussfolgerung. Es gibt in
der Mathematik auch Reihen (Sequenzen), die unendlich sind, in denen
aber nicht jede beliebige Anordnung von Ziffern vorkommen kann.)
Eher skeptische Zeitgenossen fragen nach der Erkenntnisfähigkeit des
Menschen. Wie könnte ein evolutionär entstandener Verstand annehmen,
dass er außerhalb des Bereichs, den er zum Überleben unmittelbar
braucht, korrekte Schlüsse zieht?
Deshalb landet man bei der ernüchternden Einschätzung, dass viele
Fragen unbeantwortet bleiben werden.
Grade bei der Frage der Erkenntnisfähigkeit des Menschen und den
prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, scheint es aus dem Bereich der
Wissenschaften Antworten zu geben. So wird dann häufig auf Gödel oder
Heisenberg verwiesen. Nur scheint mir dieser Hinweis mehr eine
Interpretation als eine direkte Antwort zu sein. Eine philosophische
Interpretation von Gödel legt nahe, dass es Sätze gibt, die weder
beweisbar wahr, noch beweisbar falsch sind. Diese Interpretation
scheint mir aber nicht unbedingt zwingend.
Ich nehme nicht in Anspruch, den Beweis von Gödel wirklich verstanden
zu haben, er macht damit nur eine Aussage über die Eigenschaften
bestimmter formaler Systeme. Meines Wissens werden aber diese formalen
Systeme eben schon heute durch geeignete Axiome erweitert, wenn diese
an die Grenzen stoßen.
Stimmt die Argumentation, dass diese "weltanschaulichen Antworten"
nicht aus rationalen Gründen, sondern irrationalen Motiven heraus
erfolgen, könnte man dann nicht auch auf den Hintergrund
zurückfolgern?
Wieso z. B. jemand von der Existenz unbeantwortbarer Fragen ausgeht
oder warum jemand dem naiven Realismus zuneigt?
Der Materialist scheint mir sich den Aberglaube vom Hals halten zu
wollen. Der Freund der Unendlicheit will die scheinbare Zufälligkeit
der Welt loswerden. Der Theist will natürlich auch eine klare Antwort
auf die Sinnfrage und die Moral.
Denkt ihr, es lohnt sich, in diese Richtung weiterzudenken oder sind
meine Ausführungen an der Stelle so unsinnig, dass es keinen weiteren
Sinn macht?
Noch eine Kleinigkeit. Es geht natürlich um Psychologie, nicht
unbedingt "Philosphie". Man kann sehr wohl die Theorie eines Gottes
aufrecht erhalten, aber von einer sinnlosen Welt ausgehen (Schöpfung
als unsinnige Tat) oder von der Endlichkeit der Welt, aber von Gründen
für diese spezifische Ausgestaltung usw.
Das heißt aber ja nicht, dass es im "Alltagsverstand" so ankommt. Die
meisten Leute scheinen nicht so differenziert zu sein, sondern eher
grob einzuordnen.
Mit freundlichen Grüßen,
der Ratlose.
P.S.: Die alten Welträtsel aus dem 19. Jahrhundert scheinen mir nicht
mehr ganz zeitgemäß. Die Urknall- und Evolutionstheorie hat da doch
zumindst Teilantworten auf Basis sicherer Erkenntnisse bieten können.