Am 20.05.2023 um 01:56 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Nahezu jede (technische) Innovation erfolgt nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum und
somit werden unausweichlich Irrtumswege beschritten. Diese rechtzeitig zu verlassen,
sobald man den Irrtum erkannt hat, ist Aufgabe und ultimatives Schicksal der Menschheit.
Moin Karl,
meiner Vermutung nach ist es gerade umgekehrt: nahezu jede technische Innovation erlogt
theoriegeleitet. Versuchsreihen dienen nach dem prinzipiellen Funktionsnachweis nur noch
der Optimierung. Statistiken dazu kenne ich allerdings nicht und kann nur mit einigen
Beispielen dienen, wie etwa der Innovationen, die von der Elektrifizierung zum Internet,
vom Computer zum Smartphone, von der Pferdebahn zur Eisenbahn, von der Pferdekutsche zum
Auto führten. Ohne Mechanik, Thermo- und Elektrodynamik sowie Quantenmechanik wäre kaum
eine technische Innovation im Zuge der industriellen Revolution möglich gewesen. Dabei hat
sich das Prinzip von Versuch und Irrtum lediglich in der Chemie gehalten, wird aber
zunehmend durch Molekulardynamik und Quantenchemie ersetzt.
Friedrich List schrieb bereits 1841 in seinem „Nationalen System der politischen
Ökonomie“: „Es gibt kaum ein Manufakturgeschäft, welches nicht mit der Physik, Mechanik,
Chemie, Mathematik, oder mit der Zeichenkunst usw. in Beziehung stünde. Es gibt keinen
Fortschritt, keine neue Entdeckung und Erfindung in diesen Wissenschaften, wodurch nicht
hundert Gewerbe und Verfahrungsweisen verbessert oder verändert würden.“
Ausgehend von den Chatbots, um die es ging, wolltest Du wohl eher auf die
gesellschaftlichen Auswirkungen technischer Innovationen hinaus. Die erfolgen selten
theoriegeleitet, meistens rücksichtslos macht- oder profitgetrieben. Die Weltherrschaft
des fossilen Imperiums und sein Widerstand gegen die Decarbonisierung zeigt mir, dass es
seinen Irrtum noch immer nicht eingesehen hat. Dazu passt auch, dass sich außer den Grünen
keine Partei hierzulande gegen die Autolobby zu stellen wagt. Selbstredend wird der
Autolobbyist Söder in Bayern wiedergewählt werden, während die Grünen bereits für noch so
zaghafte Anfänge einer autofreien Innenstadt in Bremen abgestraft wurden. Der wohl größte
Irrtum der Menschheit war die Schaffung des fossilen Imperiums, von ihm abgewichen wird
allerdings nicht; denn nach wie vor steigen die THG-Emissionen weltweit an. Dazu fällt mir
ein Spruch des Konfuzius ein: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert,
begeht einen zweiten.“
Ob die Verbreitung von Chatbots ein Fehler war, kann wohl noch nicht beurteilt werden. Die
Herrschaft eines dem fossilen vergleichbaren Maschinenimperiums zeichnet sich nicht ab. So
konkrete Warnungen wie die vor den Folgen eines CO2-Anstiegs seit über 100 Jahren hat es
bisher bzgl. der KI außer in der SciFi nicht gegeben. In Service und Support werden
Chatbots ja schon seit Jahren eingesetzt, ohne dass es zu Entrüstungsstürmen kam. Dabei
hängen Klima- und Sozialdynamik innig zusammen;— aber wer gibt schon freiwillig seine
Privilegien auf und ändert seine ihm lieb gewonnenen Gewohnheiten? Anstatt weiterhin mit
über 50 Mrd. Euro jährlich hierzulande das fossile Imperium zu sponsern, wäre es nicht nur
sinnvoller, entschiedener die Decarbonisierung zu fördern, sondern auch die KI.
IT