Am 10.02.2020 um 06:34 schrieb Arnold Schiller via Philweb:
  [Philweb]
 Nun ich bin auch über den Klimawandel zur Philosophie gekommen. Ich
 würde die Jugend da nicht unterschätzen. 
Davon sollte ich, allein schon aus ureigenster Erfahrung im 
Familienkreis, weit entfernt sein! Dennoch ist mir sehr klar, dass ich 
in meiner Jugendzeit von damalig vorherrschender Denk- und 
Gesellschaftsstruktur nachhaltig sozialisiert wurde, woran auch die 
Lektüre von Adorno-Horkheimer u.a. zunächst nicht viel änderte. Zudem 
mich ärgerte, dass unsere Technikvorlesungen von Hồ Chí Minh-Parolen 
brüllenden ASTA-Horden gestört wurden. Es brauchte aber in der Folgezeit 
nicht viel, um vom Irrsinn westlicher Kriegsführung in Vietnam und 
weiterer diesbezüglichen „Glanztaten“ der Politik überzeugt zu sein. 
Dann folgte RAF usw., Ereignisse also, die jungen Menschen bei der 
Bewertung der tatsächlichen (gesellschaftlichen) Zusammenhänge einiges 
abfordern. „Sofern dies geschah“, müsste man hinzufügen, denn für viele 
stand eben doch im Vordergrund die Lust und Freude am Wiederaufbau, die 
Entdeckung von Freiräumen mit aufkeimender Zuversicht bzgl. einer 
möglich gewordenen Emanzipation vom kollektiven Habitus herkömmlicher 
Gesellschaftsstrukturen.
Und nicht zu vergessen: Schon in meinen Oberstufenaufsätzen hatten wir 
das Thema „Pollution Prevention“. Also hätte auch ich damals bereits mit 
Klimaprotesten starten müssen, was angesichts der zu dieser Zeit 
dominanten politischen Themen (selbst wenn ich den Genius einer Greta 
hätte) schlichtweg im Sande verlaufen wäre.
Was will ich also sagen: Im Gegensatz zu Rudi Dutschke, seinerseits 
protestantisch-marxistisch, war ich katholisch-konservativ sozialisiert. 
Zwei sehr unterschiedliche junge Gestalten zu dieser Zeit! Was will man 
ihnen vorwerfen? Beeinflusst zu sein von „Nazi- oder Kommunistensäuen“!? 
Wollte ich derartiges denken, sollte ich mich schämen, denn letztlich 
lag es an mir, eigenes Denken und dementsprechendes Handeln zu 
entwickeln. Also las ich (damals als einziger Technikstudent mit 
Philosophie als Wahlfach) ebenso wie Dutschke über Existentialismus, 
wobei mich Jaspers mitnahm und Sartre abstieß. Heidegger war als „Nazi“ 
verschrien und dennoch war die Lektüre von Sein und Zeit für mich 
gewinnbringend. Mich störte damals schon massiv diese hässliche, 
undifferenzierte Polarisierung, wie sie sich heute mehr denn je als 
drohende Kulisse hinter unserem Gesellschaftsleben aufbaut.
Das eben Geschriebene bedenkend, sollte man in die Lage versetzt sein, 
dass junge Menschen schlichtweg Zeit benötigen, um sich zu finden, sich 
zu entwickeln und vor allem, sich in eine Gesellschaft nachhaltig und 
von hinreichender Lebenserfahrung geprägt, einzubringen.
Nun also noch zu Greta: Weit davon entfernt, sie als krankes Kind (jetzt 
Jugendliche) zu sehen, bin ich mir ihrer Genialität bewusst. Asperger, 
als schwache Ausprägung von Autismus, bewerte ich nicht als signifikant 
krankhafte Beeinträchtigung einer üblich ausgeprägten Lebensführung. Was 
gemeinhin als nachteiliges Charakteristikum von Asperger gilt, nämlich 
ein spezifisch gemindertes soziales Interaktionsvermögen, gerät m.E. bei 
Greta zu einer erstaunlich prägnanten Befähigung, eine Meinung bzw. 
Überzeugung ohne Skrupel (d.h. typische Abwehrreaktionen der 
Gesellschaft auf atypisches Verhalten ignorierend) vorzutragen und auch 
dazu zu stehen. Wer von uns könnte in der von ihr gezeigten Art vor 
internationalen Gremien auftreten?
Es hat alles seine Zeit und nun ist die richtige Zeit für Greta, wo sie 
als junger, außergewöhnlich befähigter Mensch, uns den Spiegel vorhält, 
in dem wir unsere umweltschädlichen Lebensweisen erkennen sollen.
Wirklich kritisch sehe ich mehrheitlich nur jene, die ihr blind 
nachlaufen (bzw. sich ihr anbiedern) und dies, ohne selbst nachhaltig 
aktiv zum Problem eines definitiv sich verändert habenden Weltklimas 
beizutragen. Wie gesagt, es ist nicht geholfen, auf naive Art zu glauben 
oder zu fordern, ein sofortiger Stopp jeglicher CO2-Emissionen sei 
(notwendigerweise) weltumspannend durch Proteste der gezeigten Art zu 
bewirken.
    Greta beklagt sich darüber, dass die Presse niemals
die Zahlen nennt, die sie doch jedesmal erwähnt
 und wer sie persönlich getroffen hat, weiß, das sie sich sehr wohl mit den Fakten
auseinandergesetzt hat. 
Über die Presse zu schreiben, ist Zeitverschwendung. Doch
selbst wenn 
irgendwelche klima-relevante Daten genannt wären, würden sie vom (so 
benannten) „Mob“ nicht verstanden werden. Wer sich nicht zum „Mob“ 
zählt, kann mit wenigen „Klicks“ hinreichende Inforation aus dem 
Internet gewinnen. Mir widerstrebt es übrigens, vom „Mob“ zu sprechen. 
Jede Gesellschaft hat eine sog. bildungsschwache resp. 
bildungsresistente Bevölkerungsschicht, die es hier nicht zu diskutieren 
gilt. Jedoch glaube ich, dass sich Menschen, die sich ihrer umfassenden 
Bildung bewusst sind, nicht über  Mitbürger des sog. „Mobs“ erheben, 
sondern (wo immer möglich) den Dialog suchen sollten. Letzteres ist 
natürlich oft nicht möglich; zu groß sind die Unterschiede. Doch jeder 
Versuch lohnt, anstatt durch ideologisch gefärbte Parolen dort zu 
provozieren.
  Da ich als 15jähriger erfahren musste, dass ich nicht
ernst genommen wurde, kenne ich das Gefühl nur
 all zu gut. Selbstverständlich war ich nicht fähig die Fehler in Global 2000 zu
entdecken, die der Bericht zweifellos hatte, dazu fehlte mir
 Wissen und Erfahrung, aber ich war auch nicht so naiv, wie du das hier unterstellst.
Du musst natürlich schon genau lesen, was ich geschrieben habe. Woraus 
assoziierst Du eine Dir gegenüber formulierte Unterstellung? Allenfalls 
fühlst Du Dich kollektiv durch meine Bewertung getroffen, wonach ich 
(mehrheitlichen Teilen) der Jugend entsprechende Lebenserfahrung 
absprach. Eben genau gemäß Deiner o.a. Diktion: „dazu fehlte mir Wissen 
und Erfahrung“. „Zu damaliger Zeit“, wolltest Du jetzt sinnvoll 
ergänzend hinzufügen.
Wenn mir also Wissen und Erfahrung fehlt, bin ich gewissermaßen blind in 
der Bewertung darauf bezogener Lebensbereiche; das meinte ich mit "blind 
folgen". Zur Naivität einiger Ideen von Klima-AktivistInnen habe ich 
bereits geschrieben.
  Ich habe persönlich die Kandidatur einer
Siebzehnjährigen
 zur stellvertretenden politischen Geschäftsführerin unterstützt, weil
 ich sie für reif und glaubwürdig hielt - nicht jeder Jugendliche ist das
 - keine Frage - und sicherlich sind da viele Naive dabei. Ich habe lange
 Zeit meinen IQ ignoriert und gar verschwiegen aber mit meinen 54 Jahren,
 fange ich langsam an, dazu zu stehen. Wobei es mir schwer fällt, Leuten
 zu verklickern, dass ich nur deswegen nicht weiß, wie hoch mein IQ ist,
 weil ich den Test der auf 145 normiert war gesprengt hatte und mich mein
 IQ eigentlich nicht interessiert.
 Wenn ich mir aber Menschen wie Greta betrachte, die nicht krank im
 herkömmlichen Sinne ist, sondern nur mit ihrem Asperger nicht in das
 Raster passt, dann ist sie alles andere als naiv. Ich halte ihren
 Alarmismus für gerechtfertigt und bedauere es nicht schon vor 40 Jahren
 so Alarm geschlagen zu haben.
 
Meines Erachtens gibt es keinen Grund, dieses als Versäumnis zu 
bedauern: Es fehlte, trotz überragendem IQ, schlichtweg „Wissen und 
Erfahrung“. Nicht mehr und nicht weniger.
Und so versuchen wir beide weiterhin (jeder auf seine Art), wie alle 
hier, unser Bestes zum Erhalt dieser eigentlich so wunderbaren 
Lebenswelt zu tun.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl