m 22.06.2019 um 13:46 schrieb Rat Frag:
/"Ich halte grundsätzlich die Ideen für Spannend, die das Problem des //
//Bewusstseins plötzlich aus einem völlig anderen Blickwinkel //
//betrachten. Eben die Theorie, dass es ein "Bewusstsein" eigentlich //
//nicht gibt, aber auch anderes."/
Obgleich die Betrachtung bzw. das Hinterfragen, was denn „Bewusstsein“
sei, nach wie vor aus verschiedensten Sichtweisen und beliebig
unkonventionellen Blickwinkeln geschieht, lässt sich bisher keine
allgemein gültige Begriffsbestimmung finden. Das ist nicht
verwunderlich, denn Bewusstsein kann als ein alleiniger Begriff
unmöglich für jegliche damit in Verbindung gebrachte mentale Phänomene
stehen. Es gilt also auch diesbezüglich die von Claus hier vorgebrachte
Argumentation:
„Wir können Worte durch Worte erklären oder durch Beispiele, die dem
entsprechen, das die Worte beschreiben. Am Ende der Erklärung muss aber
ein Beispiel stehen, das nicht durch Worte erklärt oder beschrieben,
sondern nur präsentiert werden kann. Sonst müssten wir immer
weiterfragen, was denn die erklärenden Worte bedeuten und wüssten daher
nie, was das zu Erklärende bedeutet. „
Um diesem unendlichen Regress samt diesen unsäglich fruchtlosen
(Qualia-) Diskussionen der Philosophie des Geistes zu entgehen, könnten
tatsächlich „Beispiele“ weiterhelfen. Es wären „Beispiele“, die sich
konkret aus der mittlerweile gut funktionierenden interdisziplinären
Forschung zu einem mehr und mehr schlüssigen Gesamtbild formen, denn
Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaft etc. oder gar Religion
jeweils alleine haben es bisher nicht und würden es künftig nicht
leisten. Weiterhelfen wird vor allem aber nicht, Bewusstsein per se
gänzlich in Frage zu stellen bzw. radikal abzulehnen, wie etwa durch
Ausprägungen des eliminativen Materialismus; letzterer vornehmlich mit
dem Argument, Alltagspsychologie (common-sense psychology) sei zur
Erklärung der damit beschriebenen und erklärten mentalen Zustände nicht
tauglich. Das zeugt von einer durch puren Reduktionismus verstellten
Sicht auf diese Phänomene, die eben nicht nur ausschließlich von
mentaler, sondern wechselwirkend von ganz- und auch außerkörperlicher
Art sind. Es ist ja nicht so, dass die mit traditionell
umgangssprachlich, intersubjektiv ausgedrückten Zustände und
Empfindungen menschlichen Innen- bzw. Seelenlebens unzutreffend sind,
wenngleich unterschiedliche und bisweilen konträre Ausdrucksformen zu
den üblichen Missverständnissen führen.
Sinnvollerweise sind im Kontext des Bewusstseinsbegriffs bereits
funktionelle und damit auch begriffliche Unterscheidungen vorgenommen
worden. Deren populärste sind wohl Freuds Annahme, dass ein
„Unbewusstes“ (als Gegenpart zum bewussten Alltagserleben) existieren
müsse und daraus abgeleitet C.G. Jungs „kollektive Unbewusste“.
Jedenfalls haben diese Erkenntnisse die wissenschaftliche Psychoanalytik
begründet, die heute noch maßgeblich davon beeinflusst ist.
Freuds topisches Modell von „bewusst“ und „unbewusst“ (bw/ubw) war der
Vorläufer seines Instanzenmodells von „Es, Ich und Über-Ich“. Sein
berühmter Ausspruch allerdings: „Wo ES war, soll ICH werden“, wird für
viele Zeitgenossen nach wie vor rätselhaft.sein. Freud nimmt damit eine
eindeutige, strukturelle Zuordnung des Unbewussten in das „Es“ vor. Das
„Ich“ und „Über-Ich“ spielt sich dagegen überwiegend bewusst ab und
bildet sich für jeden hinreichend gesunden Menschen als diese
untrügliche Bewusstheit seiner individuellen Existenz ab. Sich seiner
Existenz denkend bewusst sein (cogito ergo sum, aber auch visuell
wahrnehmend: video ergo sum) ist die unverbrüchliche, wenngleich „nur“
virtuelle, illusionäre aber dennoch lebensbedingende Basis von
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Unabhängig von beliebig
kontroversen Diskussionen, Interpretationen, Denkschulen etc., die sich
durch fließende Grenzen zwischen diesen Instanzen ergeben, ist der
intakte Austausch zwischen ES, ICH und Über-ICH jedes Menschen
essentiell für sein geistig gesundes (Über)Leben. Die Interaktion
zwischen diesen Bewusstseinsebenen lässt sich nicht (herkömmlich)
reduktionistisch auf verständliche Erklärungsmodelle herunterbrechen, da
es sich um nichtlineare Transformations- und Verarbeitungsprozesse
handelt. Die Zusammenhänge resp. die Funktionen zwischen Gehirn, Geist
und eben Bewusstsein lassen sich m.E. bestenfalls bedingt
systemtheoretisch ggf. mit chaostheoretischen Ansätzen erfassen und
beschreiben. Das Gehirn als Ganzes ist ein komplex offenes, nichtlinear
agentenbasiertes System mit den Basiseigenschaften von Emergenz und
Selbstorganisation. Beispielgebend könnten somit Modelle sein, die in
der Neuronalen Informationstechnik erforscht und erprobt werden
(Neuronale Korrelate, Konnektionistische Modelle, PDP, IIT, etc.). Top
down (vom Bekannten zum unbekannten, emergente Prozesse etc).
Soweit man, abgesehen von ohnehin nicht zutreffenden szientistisch
verkürzten Weltbildern, derzeit überhaupt in der Lage ist, das
Verhältnis Gehirn – Geist/Bewusstsein zu beschreiben, kann eines bereits
als gesichert gelten: Permanent informationsverarbeitende
Konstruktionsprozesse entwerfen im (gesunden) Gehirn aus allen
verfügbaren ganz- und außerkörperlichen Inputs ein hinreichend
konsistentes Bild individueller Körperlichkeit und vom dementsprechend
empfundenen ICH bzw. Selbst. Es ist demnach nicht die Physis des
Gehirns, die Geist/(Selbst)Bewusstsein repräsentiert, sondern letzteres
wird durch spezifisch im Gehirn ablaufende Systemprozesse als virtuelles
„Selbstmodell“ hervorgebracht.
Dieses illusionäre (dennoch konkret durch Gehirnfunktionen
bereitgestellte) Selbstmodell ist unabdingbar stabilisierende Basis für
das Urvertrauen des Menschen, sich als seiner selbst zu erkennen, selbst
zu sein und mit seiner Körperlichkeit konkret im jeweiligen Lebensumfeld
zu überleben.
Also kann (je nach Sichtweise und Interpretation) gelten:
Es ist/gibt kein (physisch messbares) „SELBST“, kein „ICH“, kein
Bewusstsein,
UND
Es ist/gibt ein „SELBST“, ein „ICH“, ein Bewusstsein.
Gültigkeit des ersten Terms, weil er „nur“ als Illusion (ständig
ganzkörperlich wechselwirkend) gehirnsystemisch erzeugt wird, jedoch
physisch nicht messbar ist. Gültigkeit des zweiten Terms, weil er
(obgleich virtuell) unabdingbar konkret lebenserhaltende Funktion hat.
Für beide gilt überdies, dass das "SELBST" (glücklicherweise) laufender
Veränderung unterworfen ist, und zudem als Initiator/Attraktor für
epigenetische Anpassungen/Veränderungen wirkt, was als wesentliche
Voraussetzung für Entwicklungsphasen des Menschen pro Lebenszeit
angesehen werden kann.
Das Bewusstsein, das SELBST/ICH ist ein permanent
informationsverarbeitender Prozess.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! Karl