Am Fr., 16. Apr. 2021 um 12:11 Uhr schrieb Ingo Tessmann
<tessmann(a)tu-harburg.de>de>:
Haeckel schrieb in seinen Welträtseln: "Die
Astrophysik hat unsere Weltanschauung im großartigsten Maßstabe erweitert, indem sie uns
im
unendlichen Weltraum Millionen von kreisenden Weltkörpern nachgewiesen hat, größer als
unsere Erde und gleich dieser in beständiger Umbildung
begriffen, in einem ewigen Wechsel von `Werden und Vergehen'.“ Der Mann war
allerdings Biologe und kein Physiker, insofern wird er naiv von
„unendlich“ gesprochen haben; dass etwas schlicht ohne Ende sei, es sich aber nicht um
ein Aktual-Unendliches handele.
Lassen wir die Diskussion über das "aktual Unendliche" und ob das eher
ein klar definierter mathematischer oder doch eher ein vager
metaphysischer Begriff ist, mal raus.
Nun habe ich gelesen - und glaube diese Einlassung - , dass der
Beweise für die Existenz extrasolarer Planeten erst vor kurzem
gelungen ist. Und zwar indirekt durch Gezeiteneffekte,
Lichtschwankungen.
Wie kommt Haeckel also dazu, so etwas zu schreiben?
Wenn es damals noch keinen Beweis dafür gegeben hat, dann muss es sich
bei diesen Statement um einen Glaubenssatz (oder eine
Wahrscheinlichkeitseinschätzung) handeln, die aber mit
wissenschaftlicher Autorität, als Entdeckung, verkauft wird.
Meines bescheidenen Wissens war vor der Shapley-Curtis-Debatte (The
Great Debate) überhaupt nicht klar, ob der "Andromedanebel" eine
externe Galaxie oder nur ein Nebel in unserer Galaxis war. (Die
Debatte hat sich letztes Jahr gejährt und sie war ein Meilenstein der
Astronomiegeschichte. Leider ist sie aus gewissen Umständen verloren
gegangen.)
Nun jetzt ich noch einen drauf, denn diese Aussage von der
Unendlichkeit des Kosmos und von bewohnten (!) fremden Welten
außerhalb unseres Sonnensystems findet sich sogar weit früher, in
Werken aus dem 18. Jahrhundert.
Falls es aber wirklich eine wissenschaftlichen Beweise für diese Idee
gab, wieso verbreiten die Autoren sie dann wie eine ausgemachte
Tatsache? Hier könnte man tatsächlich auf die Suche nach
Hintergedanken gehen.
Hat dieser Gedanke seine Anhänger emotionale befriedigt? Oder auch
intellektuell, weil er z. B. bestimmte Ideen unmöglich machte
(Schöpfung mit Mensch als Mittelpunkt)? Oder was?
Ich hoffe du kannst und willst mir in diesen Gedankengang folgen.
Und Hawking war es dann, der den Nachweis der vielen
Singularitäten auf die eine Ursprungssingularität übertrug, aber eigentlich wieder auf
Einsteins Traum von einem kontinuierlichen Universum ohne Anfang zurückkommen wollte. Das
gelang ihm mit der „Keine-Grenzen-Hypothese“:
Ich frage mich, ob ich diese Debatte wirklich sinnvoll aufnehmen kann,
ohne mich in sehr komplizierte Formeln zu vertiefen, die ich womöglich
noch nie gesehen habe.
Wie geht diese Theorie mit der Inflation um?
Caroline Jonas hatte auf der Physikerinnen-Tagung 2020
in Hamburg einen Vortrag gehalten über "Early Universe Cosmology, the No-Boundary
Proposal“:
Eine Tagung nur für weibliche Physiker?
Muss ich mir mal zu einer ruhigen Stunde zur Gemüte führen. Derzeit
bin ich wohl nicht im Stande, das gut zu erfassen.
Jetzt habe ich sein Werk nicht gelesen, aber ausgehend
von dem Zitat:
Im Weseten scheint die "östliche" Mystik immer populärer zu werden.
Insbesondere sowas wie Buddhismus. Ich vermute, dass das auch viel mit
der Meditation und der Atmentechnik zu tun hat.
Die Tatsache, dass es bestimmte Übungen gibt, die den Menschen
Entspannung schenken, wird ja vom Atheisten an sich nicht bestritten.
Eventuell ist das eine post-religiöse Form der Spiritualität, deren
Aufstieg wir heute erleben?
Wieder mehr „Sinn“ in das Philosophieren hier zu bringen, hat ja gerade Joachim
angemahnt. Aber sollte man die intellektuelle Redlichkeit dabei
vergessen?
Wo siehst du denn meine intellektuelle Redlichkeit vergessen?
Ich behaupte nicht, dass diese "fernöstlichen" Meditationstechniken
oder gar die damit zusammenhängenden Lehrgebäude eine tiefere Wahrheit
enthalten.
Was ich objektiv feststellen will:
1.) Es gibt einen nachweisbaren Effekt von Meditation auf Menschen.
Ich selbst habe das in der Praxis an Leuten gesehen und es gibt
Studien, die in diese Richtung deuten.
Beispielsweise scheint es tatsächlich Leuten zu helfen, ruhiger zu
werden, Streß abzubauen.
2.) Es gibt Erlebnisse von "Erleuchtung" oder Transzendenz. Diese
werden in verschiedenen Kontexten unabhängig voneinander gemacht, z.
B. bei den Zenmönchen genauso wie die Thomas von Aquin. Wie diese
Erlebnisse zu interpretieren sind, ob als "kontrollierte
Dissoziierung" oder real, ist zweitrangig.
Für mich bedeutet das, dass auch ein Atheist in der Lage sein kann,
solche Erlebnisse zu machen. Genauso wie er Musik genießen kann.
Ob ein Beweis hinreicht, lässt sich in der Regel in
der scientific community überprüfen. Aber ist es im Alltag wesentlich anders, wenn man
nicht gläubig, sondern freidenkend lebt?
Ich verstehe die Frage nicht. Wenn man anders lebt, ist der Alltag
natürlich anders.
Selbst wenn ich jetzt Biologe wäre und alle Behauptungen auf den Feld
der Biologie mit wissenschaftlichen Methoden nachprüfe, bin ich doch
wieder ein einfacher Laie, wenn das Thema auf Astronomie kommt. Oder
eben antike Geschichte. Oder vielleicht höhere Mathematik.
Im Alltag agieren wir natürlich zumeist intuitiv, aber
sollten wir einmal Zeit und Muße haben, spricht doch nichts dagegen, möglichst alle
relevanten Beweise hinsichtlich der eigenen Überzeugung in Erwägung zu ziehen - außer
vielleicht unsere Neigung zur Vermeidung
kognitiver Dissonanz beim Vertreten dogmatischer Überzeugungen.
Ich versuche soweit ich kann dieses Ideal zu leben, würde aber niemals
den Anspruch erheben wollen, dem auch nur nahe zu kommen.
Nun, ich habe die Erfahrung machen können (müssen), dass es Leute mit
nachweislich falschen Ansichten gibt, deren Positon ich aber gar nicht
entkräften kann und am Ende auch nicht will. Weil die sich so tief in
irgendwelche Details eingearbeitet haben, dass ich keinen Nutzen sehe,
ihnen zu folgen.
Für mich ist das nicht irrational. Begrenzte Kapazitäten setzen da
eben ein gewisses Haushalten voraus.
Metzinger zitiert Clifford mit den Worten: "Wenn
jemand vorsätzlich das Lesen von Büchern und die Gesellschaft anderer Menschen, die
kritische
Fragen aufwerfen, vermeidet, dann ist das Leben dieser Person eine einzige lange Sünde
gegen die Menschheit.“ Der Mann war offenbar
nicht nur Mathematiker, sondern auch Moralist.
Um mal ein Beispiel aufzuwerfen: Wenn ein Verschwörungstheoretiker
sich ganz tief in irgendwelche Theorien eingearbeitet hat und dann,
als Beispiel, die Verfahren selbst in Frage stellt, mit denen man z.
B. die Erdkrümmung misst oder Quadratur des Kreises widerlegt, wie ist
das denn zu bewerten?
Soweit ich weiß nehmen seriöse Mathematiker Arbeiten über die
Kreisquadratur nicht mehr ernst. Sie wissen aufgrund eines Beweises
aus dem 19. Jahrhundert, dass das unmöglich ist und wollen ihre Zeit
nicht opfern, um auf Fehlersuche in den Beweisen dieser Leute zu
suchen.
Physiker oder Ingenieure nehmen in ihren Kreisen Arbeiten, die ein
Perpetuum Mobile erschaffen wollen, gar nicht mehr an. Leute, die sich
mit der Widerlegung solcher Konstrukte beschäftigen sind zumeist
entweder künstlerisch aktiv oder fröhnen einen seltsamen Hobby.