Am 05.04.2020 um 21:08 schrieb Rat Frag:
m Mo., 23. März 2020 um 18:35 Uhr schrieb Claus
Zimmermann via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hier
Ich habe mir den Link jetzt nicht durchgesehen, aber die Aussage
schockiert mich jetzt nicht so extrem, denn ich habe leider weit, weit
schlimmeres gelesen. Wenn da etwa jemand wissenschaftstheoretisch
klingen möchte und schreib, dass die Theorie ausreichend falsifiziert
wurde.
Man muss meines Erachtens drei Punkte unterscheiden:
1.) Ist die Aussage eine mögliche, nicht-absurde Interpretation von Popper?
2.) Was hat Popper eigentlich wirklich gemeint? (Wobei, in Hinblick
auf (1), der Kritische Rationalismus ja nicht nur aus 100% orthodoxen
Anhängern von Popper besteht.)
3.) Wie funktioniert Wissenschaft (was auch immer man darunter
versteht) denn nun wirklich?
Gehen wir das mal der Reihe nach durch:
1. Ja, meines Erachtens ist das sehr wohl eine mögliche Interpetation
von Popper, auch wenn die Formulierung bestimmt zu Missverständnissen
einlädt. Popper sagt nämlich an einer Stelle, dass wissenschaftliche
Theorie so formuliert sein sollen, dass sie an der Wirklichkeit
scheitertn, widerlegt werden können.
Das ist aber etwas ganz anderes als "Ein normaler Wissenschaftler muss
nach Poppers Falsifikationsprinzip beweisen, daß das, was er als
Hypothese behauptet, falsch ist."
Dazu gesellt sich dann noch der kretische Lügner, der etwa sagt "wenn
ich lüge, sage ich die Wahrheit, also beweise, daß du lügst, dann glaube
ich dir".
Kleine Verdrehungen, die aus dem Falsifizierbarkeitskriterium und dem
diskursethischen Verbot der Rechthaberei einen Anschlag auf das Denk-
und Urteilsvermögen machen.
Er nimmt die Mathematik explizit
aus und besteht auf einer klassischen formalen Logik.
Wenn ein Autor sich explizit auf Popper beruft ("Nach Popper
muss..."), dann kann man schon den Anspruch erheben, dass er damit
nicht die eigene Meinung, sondern die Meinung Poppers wiedergibt. Es
ist aber meines Erachtens legitim, Popper zu interpretieren. Beim
Stichwort "normale Arbeit" eines Wissenschaftlers denke ich aber nicht
an Popper, sonern eher an Kuhn. Seis drum.
2.) Vielleicht sollte ich noch mal die "Logik der Forschung"
aufmerksam und komplett durchlesen satt es nur zu überfliegen, aber
meines Wissens entspricht dieses Zitat wirklich nicht ganz der
Auffassung Poppers. Popper nahm ja eine Art "Grad der Bewährung" an,
der sich daraus ergibt, wie viele Widerlegungsversuche eine
wissenschaftliche Theorie schon überstanden hat. Dennoch soll eine
Theorie immer wieder aufs neue getestet werden.
Eine Theorie, die strukturell nicht widerlegbar ist, ist nach Popper
keine Wissenschaft, aber kann sehr wohl sinnvoll sein. Popper war mehr
oder weniger gläubiger Protestant und betrachtete Metaphysik nicht als
Unsinn.
3.) Die letztere Frage will ich unbeantwortet lassen.
Nur soviel: Ich beobachte in den Massenmedien die Tendenz, Poppers
Wissenschaftsphilosophie als irgendwie in Stein gemeiselt
darzustellen. Das war aber vom Meister selbst nicht beabsichtigt, denn
er hat seiner Theorie mehreren Revisionen unterzogen,
...wofür ich ihn noch mehr schätze, als für seine Theorien, soweit ich
sie (oberflächlich) kenne.
"Logik der
Forschung" hat ja nicht umsonst einen so großen
Anhang.
In Übrigen gibt es ja noch den Kuhn, den Lakatos, den Feyerabend, den
"Pankritischen Rationalismus", der mit Popper über Popper hinaus will,
und viele andere mehr, die ich hier gar nicht alle auflisten kann.
Daneben gibt es noch die Reflexionen der Wissenschaftler über ihre
Tätigkeit selbst und, nicht zu vergessen, die Soziologen und ähnliche
Forscher, die die Wissenschaftler selbst wie eine gewöhnliche Gruppe
innerhalb der Gesellschaft untersuchen.
Was Russian Today angeht: Ich konsumiere dieses Medium eigentlich
nicht, daher ist mir die Qualität ehrlich gesagt relativ egal. Wenn
ich Nachrichten im TV sehe, dann zumeist EuroNews. Ich könnte wohl
mein Englisch verbessern, wenn ich das nicht auf deusch sehen würde,
ich weiß... Paradoxerweise sehe ich öfter France24 auf englisch als
BBC. Obwohl EuroNews natürlich einen gewissen Bias pro-Union hat,
fühle ich mich in der Regel gut und fair informiert.