Am 22.11.2020 um 16:40 schrieb Rat Frag:
Rf: „Wir sind ja letztlich im "Philweb", nicht im "Theoweb". Der
Theologe kann sich in seiner Argumentation auf irgendeine verbindlichen
Glaubensgewissheit stützen, muss dann aber faktisch anerkennen, dass
diese nicht von allen geteilt wird...[…] Wobei sich bei mir die Frage
stellt […] was eigentlich so genau der Unterschied zwischen Theologie
und Philosophie ist. Grundsätzlich geht es beide Male ja
ums..."Abstrakteste"?“
Das wird man schwerlich in ein paar Sätzen ausdrücken können. Mit dieser
Frage hatte ich mich vor Zeiten vehement auseinandergesetzt; es ging um
die Entscheidung für oder gegen ein Theologie-Studium. Letztlich blieb
ich bei Technik und Philosophie. Glücklicherweise: erstere ernährt mich
und die Familie, mit zweiter Disziplin als „Brotberuf“ wäre ich
verhungert (doch sie nährt meine „Seele“), als Theologe hätte mich Küngs
und Drewermanns Schicksal ereilt (ungeachtet dem Faktum, nicht annähernd
an deren geistige Größe heranzureichen). Schließlich hat diese Zeit der
Entscheidungsfindung zu heftigen „inneren“ Auseinandersetzungen mit
genau Deiner Frage geführt. Wenn ich nun den entscheidenden Unterschied
zwischen Theologie und Philosophie darstellen soll, liegt dieser m.E.
darin, dass Philosophie eine wirklich den gesamten Lebensbereich
umfassende Denkschule ist, hingegen Theologie i.W. auf eine
Glaubenslehre fußt, die einzig Gott als allumfassende Wirklichkeit
(EINHEIT) annimmt und versteht. Neben natürlich überwiegend spezifisch
theologischen Lehrinhalten finden sich im Lehrplan der Theologie auch
Themenbereiche der Philosophie (gleichwohl im christlich-philosphischen
Kontext). Erfreulich aus meiner Sicht ist die zunehmend deutlich
erkennbare interdisziplinäre Ausrichtung, die seit jeher vornehmlich von
Jesuiten betrieben wird und wurde.
Theologie an sich unterscheidet sich ihrerseits von Religionsausübung,
die wiederum zu unterscheiden ist zwischen jenen Formen, die
mittlerweile mehr oder weniger ausgeprägte Säkularisierungstendenzen
zeigen und solchen, die nach wie vor einer fundamentalistisch
biblizistischen Grundhaltung folgen. Grundsätzlich kann man für unseren
Kulturkreis erkennen, dass das Christentum nicht mehr als
„Erlösungsreligion“ (Heilsversprechen - Gebotserfüllung - Auferstehung -
ewige Seeligkeit - Rechtfertigungslehre, vor allem aber die abstrus
apriorische Annahme des Menschen als Sünder) akzeptiert und gelebt
wird. Hier hat also längst eine Evolution der Religion eingesetzt, die
sich nicht nur in der zunehmenden Abkehr von personaler
Gottesvorstellung zeigt. Inwieweit sich diese Tendenz im Lehrbetrieb der
Theologie zeigt, weiß ich nicht zu sagen.
(Hinweis an Waldemar: Bitte jetzt nicht wieder die Abschaffung
theologischer Lehrstühle fordern; sinnvolle Bildungsetat-Einsparungen
könnte man sehr wohl auch durch Rückbau diverser in jüngerer Zeit
eingegerichteter Professuren erzielen.)
rf: „Frei nach dem, was uns die amerikanischen (Weihnachts-)Filme immer
so beibringen, ist der Glaube eine Art Geschenk eines liebenden Vaters
(wieso eigentlich nicht Mutter?) an die Seele. Tja...“
Es wäre „die liebende Mutter“, wären weltweit die Weichen kulturell
spirituell-religöser Entwicklung vor ca. 2000 Jahren nicht nach
abendländischer, sondern wie (faktisch heute zunehmend) nach
fernöstlicher Orientierung gestellt worden:
Der Sinn, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige Sinn.
Der Name, der sich nennen läßt,
ist nicht der ewige Name.
"Nichtsein" nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
"Sein" nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Dieser (erste) Vers aus dem Tao Tê King verbindet m.E. „Theologie“ mit
Philosophe kongenial. Die genuine Bedeutung von Mütterlichkeit drückt
sich dort ebenso auf wunderbare Weise aus:
Vom Mütterlichen:
Der Anfang der Welt
ist die Mutter der Welt
Wer die Mutter erkennt
erkennt sich als Kind
wer als Kind sich erkennt
bewahrt seine Mutter
und fürchtet das Ende nicht.
In kontemplativ tiefer Sicht auf derart kulturelles Schriftgut werden
erstaunliche Parallelen sichtbar!
Hier Mutter und Kind, in untrennbar bewahrter Verbindung, dort Vater
und Sohn, der uns antrug, zu werden wie die Kinder.
Diese Entsprechungen hier gemeinsam zu reflektieren wäre hoch
interessant, jedoch nicht leistbar aus den von Dir benanntem Grund:
Rf: „Wir sind aber nun mal im "PhilWeb" und da haben wir so eine
gemeinsame Grundlage nicht. Weder im positiven, noch im negativen Sinne.
Das ist vielleicht auch eine große Chance, falls man an die Kraft des
Dialoges glaubt.“
Das ist sehr schön und zutreffend ausgedrückt! Damit und dennoch bietet
sich die Möglichkeit, hier durchaus verschiedenste Aspekte einer
Thematik anzusprechen, immer jedoch unter Beachtung dieser Aussage, was
zudem geboten sein lässt, sich nicht darin zu „verbeißen“.
Rf: „Z. B. bei der Frage der Seele und ihres Schicksals nach dem
physischen Ableben, könnte man diese Frage nicht versuchtsweise in zwei
Teile spalten: Einmal die theologische Hauptfrage und die
philosophischen Nebenaspekte?
Quasi im Vorgriff auf Deine Feststellung, uns fehle zur Diskussion
derartiger Fragen die gemeinsame Grundlage, schrieb ich dem Waldemar:
denn wir wissen beide, wie müßig die Diskussion um "Ewigkeit", "Seele"
letztlich ist.
Selbst, wenn man annähernd die gleiche „Denkbasis“ hätte, wäre es
äußerst schwierig, eine konsensfähige Erklärung herauszuarbeiten. So
fragt sich, ob Religion und damit die Auseinandersetzung mit
theologischen Themen reine Privatsache sein soll oder gar muss .
Auf den ersten Blick würde man die Frage mit klarem Ja beantworten
wollen, mit dem zweiten kommen Zweifel derart, ob dieses Vorhaben
gelingen könnte. Ich denke nicht, da der Mensch erstens eine
unwiderstehliche Neigung zur Mitteilung eigenen Empfindens und damit zur
Missionierung in sich trägt. Das fördert (durchaus auch neues)
Prophetentum, wie immer wieder leidlich zu erfahren ist; zweitens gilt
für Religionsausübung das gleiche gesellschaftliche Kriterium des
(bisweilen extatischen) Gemeinschaftsempfindens, wie es bei
Großveranstaltungen (Konzerte, Fußball etc) zu sehen bzw. zu erleben
ist. Kritisch wird es hingegen, wenn Religion in hermetisch
geschlossenen Zirkeln interpretiert und betrieben wird. Daher würde ich
immer für eine offen gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Religion
und damit auch für deren sichtbare! Ausübung plädieren.
Vom Allgemeinplatz noch kurz zu meiner Sicht auf Theologie, beispielhaft
für individuell vollzogene Evolution der Religion:
Ich hatte weiter oben Hans Küng erwähnt. Dieser hatte bekanntermaßen
erhebliche Probleme mit dogmatisch vorgegebenen Lehrmeinungen und so
sprach er als Student immer wieder den Präfekten des römischen Collegium
Germanicum darauf an. Küng wollte „wissen“ dürfen und nicht glauben
müssen. Als ich diese Anekdote von ihm vor langer Zeit las, stimmte ich
innerlich in Küngs Wunsch auf meine Weise ein: „Gott – ich will nicht an
dich glauben müssen, ich will von dir überzeugt sein“; was ist davon
geblieben, was hat sich seither „in mir“ geändert? Geblieben ist mir die
Überzeugung von der Existenz einer als göttlich anzunehmenden Entität
(in welcher Dimension immer!), verloren habe ich gänzlich das mir
ursprüngliche eingeprägte anthropomorphe Gottesbild. Gewandelt hat sich
meine (Wunsch-)Vorstellung, gänzlich alle Geschehnisse zwischen „Himmel
und Erde“ gedanklich auf eine lebenspraktisch, rationale Ebene bringen
resp. zwingen zu können.
Der Präfekt hatte wohl recht – Zur Erkenntnis des über die Grenzen
menschlich sinnlicher Wahrnehmung Hinausreichenden führen nur zwei Wege:
der des Glaubens oder der schieren Leere. Ob nun diese Leere tatsächlich
so ultimativ zutrifft, könnte man angesichts der vielfältigsten
Versuche, diese mit spekulativen Annahmen und sonstig obskuren
Vorstellungen (so auch meine hier kürzlich vorgetragene utopische
„Spinnerei“ - bzgl. der "Seele und ihres Schicksals") bezweifeln.
Der Mensch bleibt ein Suchender oder auch: er liebt die Suche (nach dem
ewigen Glück, dem Topos seiner Seelen-Rettung).
Soweit für den Augenblick – so sehr ich sphärisches Schweben in
abstrakten Gefilden liebe, in der weiteren Beantwortung Deiner Fragen
sollte es wieder etwas mehr „Bodenhaftung“ in meiner Ausführung geben.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl