Am 17.11.2023 um 16:25 schrieb Ingo Tessmann über
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Wenn ich über den Tellerrand der Philosophie hinausblicke, dann sehe ich natürlich die
faszinierenden Einsichten und Erfolge der MINT-Fächer. Und das liegt hauptsächlich an
ihrer Methodenstrenge. Die methodischen Konstruktivsten hatten ja Maß an ihnen genommen
und die Philosophie wieder auf den Alltag bezogen. Dabei blieben auch Mathematik und
Technik nicht unberücksichtigt. Aber welcher Gegenwartsphilosoph geht noch methodisch vor?
Du hattest auf Hermann Schmitz verwiesen, der nach Peter Sloterdijk „neben Heidegger der
größte [...] Denker des 20. Jahrhunderts auf deutschem Boden“ sein solle, zitierte JH.
Hegel wusste es noch nicht besser, aber diese drei manischen Begriffsgymnastiker rufen bei
mir keine Bewunderung, sondern Geringschätzung hervor. Anstatt mir mit ihren aufgeblasenen
Mammutwerken meine Lebenszeit zu verschwenden, bedenke ich meine Leiblichkeit lieber
selber — oder folge dem kurzweiligen „Pornopositiv“ Paulita Pappels. Die
Bachelor-Literaturwissenschaftlerin und Pornoakteurin hat wahrscheinlich mehr Erfahrung
mit ihrer Leiblichkeit als der sich sein Leben lang an der Schreibtischkante
reflektierende Philosophie-Professor Schmitz.
Um über den Tellerrand der Philosophie hinaus blicken zu können, müsste man erst mal „im
Teller sitzen“ und genau das trifft auf Dich nicht zu, Ingo!
Wenn Du hier also Deine Präferenz für Paulita Pannels Porno-Gymnastik und im gleichen
Atemzug Deine Geringschätzung für „Begriffsgymnastiker“ der Philosophie zum Ausdruck
bringst, so seien Dir Deine diesbezüglichen gymnastischen Übungen (welche Tautologie, also
auch Begriffsgymnastik) sehr wohl zugestanden. Ob man Dir dabei noch zusehen möchte, ist
eine andere Frage.
Wir brauchen hier nicht weiter über philosophische Kernfragen wie das Leib-Seele Problem
zu diskutieren, wenn Du Dich im Verlauf eines diesbezüglichen Disputs mangels
signifikanter Argumentation auf die Ebene von Pornografie begibst. Diese hat dann sehr
wohl mit „Leib“ zu tun, doch eigentlich nur mit diesem. Oder etwa doch nicht nur?
Ich kann mich an ein Interview mit einer „Star-Prostituierten“ erinnern, die von ganz
anderen Bedürfnissen ihrer Kunden, als eben nur puren Sex, sprach. Da geht es auch um
(gekaufte) Zuwendung im Gegensatz zu der mit allen Tricks weiblicher Raffinesse
erfolgenden Abweisung durch die „eigene“ (angetraute) Partnerin.
Pappel ua. wollen mit Klischees aufräumen, ähnlich, wie das Susanne Wendel in ihrem
Büchlein „Männer sind Schweine und Frauen erst recht“ getan hat und das ist durchaus
dringend nötig.
Glücklicherweise haben weite Teile der Gesellschaft ihre Vorbehalte (zumeist ohnehin
heuchlerisch vorgebracht) gegenüber der Pornografie aufgegeben.
Sexualität als das natürlichste Empfinden und Erleben wurde, insbes. seitens der Kirche
und sonstigen scheinheiligen Moralaposteln als sündhaft, verabscheuungswürdig (sic!)
gebrandmarkt. Das interessiert heute keinen Menschen mehr, der „open minded“ durch das
Leben geht. Gott sei Dank! Und dieser wird es uns auch danken.
Sexualität, Erotik schlechthin hat mit Würde zu tun und ich denke dabei an das Kamasutra
der indisch-hinduistischen Tradition. Da ist nichts Verwerfliches, nichts Sündhaftes,
sondern pure, stolze Lebensfreude, wie diese sich in unzähligen diesbezüglichen
Kunstgegenständen, Grafiken, Bildern und natürlich entsprechendem Schriftgut ausdrückt.
Kama als das (liebevolle) Verlangen, als den Inbegriff sexuellen Genusses.
Sutra als die anleitend beschreibende Abhandlung, quasi ein „Guideline“ sexueller
Praktiken.
Da kann man als Mitglied der westlichen Hemisphäre nur neidisch sein, oder eben frustriert
sein über hiesige sexualfeindliche Gesellschaftsnormen vergangener Epochen, an denen
klerikale Cliquen großen Anteil hatten, im Sinne von „Wasser predigen und selbst Wein
saufen“.
Soweit, so gut. Sexualität hat - wie schon erwähnt - mit Würde zu tun und ich denke, dass
es bei Sexualakten zu einer Art Verletzung persönlicher Würde kommen kann, die es jedoch
wieder zu heilen gilt. Eben nicht nur brachialer „rein-raus-Vollzug“ und fertig, sondern
liebevolle gegenseitige Zuwendung, insbes. vor und nach dem Geschlechtsakt. Letztendlich
müsste gelten: jeder nach seiner Façon und vor allem im gegenseitigen Einvernehmen und
auch nicht „in Publik“. Was bisweilen aus diesem Bereich „auf die Straße getragen“ wird,
(etwa in Street-Parties) verletzt m.E. die Würde des Menschen und die Seele von Kindern,
die diesem Milieu noch nicht gewachsen sind.
Da wirst Du wohl auch anderer Meinung sein, sei's drum. Es sind schließlich erlebte
Subjektivitäten. Gegen diese hast Du nichts einzuwenden und mokierst Dich dennoch über in
der Tat subjektive Denkmodelle, die einer Betrachtung jenseits der sichtbaren, messbaren,
abzählbaren (MINT-)Lebenswelt entspringen, eine Ebene des „meta ta physika“. Metaphysik
als unbestrittener Teil der Philosophie und dann Deine diesbezügliche Ansicht, das passt
nicht zusammen. Alle von Dir in diesem Zusammenhang gebrachte Argumentation fällt nach
objektiven Maßstäben in sich zusammen, ist damit tatsächlich fragwürdig zusammengestrickte
„Begriffsgymnastik“. Könnte es sein, dass alles, was nicht niet und nagelfest
(be)greifbar vor Deinen Augen und Händen liegt, eben dann auch nicht existiert? Sollte man
diese Art Ignoranz nicht auch kritisch würdigen?
Pures naturalistisches Denken (wie es Dir zukommt) beschränkt sich notwendigerweise auf
die „IST-Welt“ in dem Sinne: was ich nicht mit meinen fünf Sinnen zu erfassen mag, kann es
nicht geben. Da muss es Dir nicht um Reduktionismus getan sein, Du betreibst diesen in
Reinkultur! Wenn Dir dazu nichts weiter einfällt, als anderes - eben über besagten
Tellerrand hinaus - Denkende in herablassender Attitüde, als in Sprachkonstrukten faselnde
Metaphysiker und Phänomenologen darzustellen, drehst Du damit die alte Leier, die Du hier
immer wieder auf’s Neue anstößt. Dabei hast Du ohne jeden Zweifel das Potential zu
wirklich neuen Ufern des Denkens vorzustoßen. Da muss es wahrlich nicht um Metaphysik, um
Gott und trister Lebenswelt, nicht um von Paulita Pappel vermarktete Vorlieben gehen,
sondern um ganz neue Themen, neues Denken und das natürlich im Kontext von moderner
Naturwissenschaft, unbenommen der sich auch dann wieder einstellenden Erkenntnis großer
Philosophen: „Alles ist immer und zugleich, Alles ist und war immer schon da“; Nietzsches
„Ewige Wiederkunft des Gleichen“. Und wenn sich Weltgeschichte zum Abertausendsten
wiederholt, bin ich mir sicher, dass die meisten Menschen dennoch nicht begriffen haben,
um was es wirklich geht.
Manche jedoch glauben, im Besitz dieser Kenntnis zu sein. Es entspringt Deiner
Geringschätzung (sic!) von Menschen, die sich gemäß ihrem Recht auf subjektive Meinung
nicht Deiner Weltsicht anzuschließen vermögen.
Immer wieder Metaphysik zu diskreditieren, das eigene reduktionistisch angelegte Weltbild
als einzig gültiges zu postulieren, entbehrt ebenso einer intellektuellen Redlichkeit. Und
so könnte man tatsächlich von diesen „Wiederholungen angeödet“ sein.
Es gibt hier im Forum eben noch andere Teilnehmende, die sich ihres Intellekts bewusst
sind und sich dessen bedienen können und sich daher bewusst geworden sind, dass ein über
die pure Natur hinausgehendes Geistiges existiert, Metaphysik eben. Eigentlich nicht zu
fassen, darüber in einem philosophisch orientierten Forum diskutieren zu müssen.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl