Am 20. Januar 2017 um 21:10 schrieb Claus Z.:
Du erklärst "behaupten" durch
"behaupten", ich nach Wittgenstein eher durch
die Beschreibung einer Praxis, die uns als Kinder beigebracht wird.
Guter Konter. Du hast recht. Ich hätte mir hier etwas mehr mühe geben müssen.
"Es regnet" ist wohl kaum ein irgendwie
philosophischer Satz. "Es scheint
nicht nur zu regnen, sondern das ist tatsächlich ganz unabhängig von unserer
Wahrnehmung der Fall" wäre die philosophische Version. Und das ist ganz und
gar nicht das gleiche, denn der erste Satz impliziert nichts von blossen
Vorstellungen oder notwendigen Ursachen derselben oder sowas.
Dem möchte ich widersprechen. Der zweite Satz ist nicht "sicherer",
weil er mehr Absicherungen enthält.
Im Gegenteil: Sagt eine Person "ich habe ein rotes Auto über die
Kreuzung fahren sehen" wirkt die Aussage sicherer und selbstbewusster
als wenn die selbe Person sagt, "ich glaube, dass ich etwas gesehen
habe, das mir in meiner Erinnerung wie ein Auto vorkommt und von
dieser Seite aus gesehen erschien es rot".
In zweiterer Aussage zieht sich diese Person (vielleicht ein
Unfallzeuge?) auf seine Subjektivität zurück, beton glaube, erinnerung
und den optischen Schein. In der ersten Aussage dagegen legt sich die
Person fest "so isses".
Unter normalen Umständen würde man nämlich sagen, "oh die erste Person
ist sich ja sicher, während die zweite Person sich seiner eigenen
Wahrnehmung nicht sicher zu sein scheint".
Wenn man es weiter analysieren will, muss man das natürlich noch
genauer Auflösen: Die erste Person behauptet, dass sie etwas gesehen
hat und zugleich die Interpetation, dass es sich um ein Auto handelte.
Die zweite Person zieht die Interpretation bewusst zurück.
Aber wann ist
ein Satz denn wahr? Wenn er eine Tatsache ausdrückt, das
heißt, wenn er eine "vorliegende Proposition" ausdrückt? Wenn eine
Theorie aufgestellt wird, die auf diese Aussage hinausläuft, dann
haben wir es mit der philosophischen Theorie der "Tatsachen" zu tun.
Unter einer Hypothese verstehe ich eine Behauptung, von der wir (eine Art
Sprachabbild, von dem wir) nicht wissen, ob es zutrifft oder nicht, aber
wissen, wie es festzustellen wäre. Man könnte das gesagte als eine Hypothese
über unseren Sprachgebrauch auffassen, wenn man so täte, als wäre uns dieser
so unbekannt wie die Sitten eines fremden Volks. Es drückt einfach aus, daß
wir Behauptungen wie Lautzeichenäquivalente für Bilder verwenden.
Doch was sind das für Bilder?
Der Satz stellt bei Wittgenstein ein Bild der Realität dar. Das Bild
kann ganz einfach zutreffend sein oder nicht. Diese Idee finde ich in
PU wie im TLP.
Das Problem dabei ist, ob diese Redeweise von Bildern selbst unklar ist.
Ich möchte an dieser Erklärung aber nicht dogmatisch
festhalten, bin
flexibel und stelle die Frage in den Raum: wenn eine Behauptung wie "es
regnet" oder "S. hat seinen Hut verloren" nicht das ist (eine Art Bild) -
was ist es dann?
Wenn wir sagen "'S. hat seinen Hut verloren' ist wahr" bedeutet, dass
die Aussage "S. hat seinen Hut verloren" ein zutreffendes Bild von
etwas ist, dann stehen wir doch vor folgenden Problem:
Die Aussage »"'S. hat seinen Hut verloren' ist wahr" ist wahr« müssten
wir dann als eine Art Aussage über Bilder von Bildern auffassen, oder?
Da scheint mir die Idee, dass "ist wahr" nur eine Art ist, über Sätze
zu reden, doch bestechend.
(Jetzt darf man natürlich sagen, dass wir in der Alltagssprache sowas
wie "Aussage X ist wahr" ist wahr niemals gebrauchen würden. Daher ist
der Einwand im Grunde irrelevant.)
"Die Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt zu
wissen, unter welchen
Bedingungen er wahr ist." ist von Wittgenstein, oder? Es entspricht dem, was
ich gesagt hatte und daher werde ich es wohl auch haben.
Jain.
Er stammt jedenfalls aus dem Umfeld des Wiener Kreises und diese
wiederum haben ja Wittgenstein "verschlungen".
Den Erklärungsgehalt wollte ich eher dem ptolemäischen
und kopernikanischen
Modell absprechen. Das kopernikanische ist insofern einfacher (um auf Deine
gleich folgende Frage zu antworten) als es mit Kreisen auskommt. Ptolemäus
braucht kompliziertere Figuren, mit denen sich, wenn ich mich nicht irre,
die Planetenbewegungen aber ebenso zuverlässig vorhersagen lassen.
Ich schieb es mal ein: Ich glaube, ich habe mal bei Kuhn gelesen, dass
das Kopernische Modell mit den Kreisen sogar komplexer war als
Ptolemäus. Jedenfalls war es einige mathematische Detailarbeit, um die
Unterschiede hinsichtlich einfachheit zu bewerten.
Kepler hat sich ja grade durchgesetzt, weil er auf Kreise verzichtete.
[...]
> Du sprichst einen sehr wenigen Punkt an. Und der
Punk ist, um
> Illusionen von korrekten Beschreibungen abzugrenzen, braucht man
> bereits eine gewisse Theorie. Eine Theorie der Wahrnehmung oder
> Erkenntnis.
> Eine Illusion im Sinne einer optischen Täuschung ist ja erst mal was
> objektives. Wenn wir beide etwa einem Penrose-dreieck gegenübersehen,
> dann sehen wir beide das selbe. Erst wenn wir den Blickwinkel ändern,
> sieht es Objekt anders aus.
[...]
Die Verallgemeinerung des Satzes "ich kann mich
über meine Eindrücke nicht
irren wäre "das und das ist nicht möglich".
Das verstehe ich nur, wenn ich
weiß, was genau nicht möglich sein soll. Ich würde also um eine Beschreibung
meinetwegen frei erfundener Umstände bitten, unter denen Du sagen würdest,
daß Du Dich über Deine Eindrücke geirrt hast. Nur dann weiß ich, was durch
den Satz ausgeschlossen werden soll.
Wenn du wünscht, versuche ich etwas anzugeben:
Nehmen wir einmal an du hättest auf einmal einen heftigen Eindruck von
Röte im gesamten Gesichtsfeld. Unter normalen Umständen würdest du
davon ausgehen, dass etwas am Licht verändert wurde und zwar so
schnell, dass deine Augen sich nicht einstellen könnten (unter rotem
Licht wirkt alles rot).
In Wahrheit hat dir aber vielleicht ein sehr guter Hypnotiseur oder
ein Neurologe mittels seiner Technik so eine Eindruck suggeriert.
Dein Eindruck bezog sich demnach nicht auf etwas, das draußen in der
Welt war, sondern auf etwas, dass sich in deinem Kopf, sozusagen in
deinen Wahrnehmungsapparat selbst zugetragen hat.