Gegen die intuitiv vielleicht naheliegende Annahme, dass frei ist, wer gemäß seinen
eigenen Entscheidungen handelt (und nicht ausführendes Organ anderer Entscheider ist)
setzt Wittgenstein eine Untersuchung dessen, wie wir uns ausdrücken, wenn wir über
Entscheidungen oder Willensakte und Handlungen reden. Dabei stellt er fest, dass wir,
wieder gegen intuitiv naheliegende Annahmen, tatsächlich davon nicht als innerer
Weichenstellung und davon unterscheidbarer äusserer Ausführung reden. Denn wenn jemand
sagt: ich wollte den Arm heben, konnte es aber nicht, und es lagen auch keine besonderen
Umstände vor, ich war nicht z.B. gefesselt oder verletzt, - man könnten sich keinen Reim
darauf machen, es wäre einem unverständlich. "Ich wollte, konnte aber nicht, weil ich
gefesselt war" ist dagegen völlig verständlich. Auch hier besteht das Wollen aber in
einem Tun, einem Versuch, sonst würden wir es nicht als solches anerkennen.
Natürlich ist man völlig frei, sich anders auszudrücken. Man könnte z.B. auch sagen,
wollen besteht darin, sich intensiv und im Zustand innerer Sprungbereitschaft eine
Handlung vorzustellen. Das entspräche, glaube ich, nicht unserer üblichen Ausdrucksweise.
Wir möchten aber vielleicht glauben, daß wir uns so ausdrücken, wenn wir zu der Annahme
neigen, daß das Tätigkeitswort doch eine besondere Tätigkeit bezeichnen muss. Aber es kann
auch ausdrücken, daß jemand sich nicht ergeben hat, die Umstände aber stärker waren.
Eine Ausnahme gibt es vielleicht im Rahmen unseres wie immer nicht mathematisch klar
geregelten Sprachgebrauchs: wenn jemand mit völliger Sicherheit weiß, daß unter den
gegebenen Umständen jeder Fluchtversuch zwecklos ist, würden wir ihm auch bei völliger
Untätigkeit den Wunsch oder auch Willen zur Flucht abnehmen. Wir würden dann
wahrscheinlich danach urteilen, ob der Mensch gebrochen wirkt und nach unserer
Einschätzung auch ist.
Ein anderes Verständnis unserer Freiheit könnte sein, daß sie im Verfolgen *eigener*
Projekte besteht. So würde ich es sehen, wobei ich aber glaube, daß Spazierengehen und
Blödsinn machen im Rahmen einer angemessen philosophischen Lebensführung auch wichtig
sind.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at> Datum: 01.10.17 11:37 (GMT+01:00) An: philweb
<Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Psychologische Gesetzmäßigkeiten und der
Freie Wille
[Philweb]
Hallo liebe Liste,
entschuldigt bitte, wenn meine Gedanken unausgegoren oder albern wirken.
Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
verantwortlich ist. Es liegt keine Entscheidung zu grunde.
Ein Kompatibilist könnte jetzt sagen, dass ich hier einen Denkfehler
mache. Wir haben nicht herausgefunden, dass es keinen "Freien Willen"
im Sittlichen Sinne gibt, sondern wie haben etwas neues über den
Willen erfahren. Eben das es sich dabei nur um die Neuropsychologische
Sache XYZ handelt.
Nur meines Erachtens erzwingt diese Interpretation weitreichende
Schlussfolgerungen in Bezug auf Verantwortung und Moral.
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
Kann mir jemand folgen?
Was denkt die Liste?
Gruß
Rat.
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