Moin Karl,
hinsichtlich der NM sind wir uns einig, während ich idealisierend aus der unendlichen
Weite des leeren Raumes komme, gehst Du die Ortsbewegung physisch handgreiflich an. Den
Zusammenhang stiftete schon d'Alembert 1758: “Given is a system of multiple bodies
that are arbitrarily [rigidly] connected with each other. We suppose that each body
exhibits a natural movement that it cannot follow due to the rigid connections with the
other bodies. We search the movement that is imposed to all bodies.”
Trägheits- und Reaktionssatz ergänzen einander. Das statische Kräftegleichgewicht in
Bauwerken interessiert den Ingenieur, die Bewegungsformen durch dynamisches
Kräftegleichgewicht am Sternenhimmel den Physiker. Historisch interessant ist es, wie
Newton im Anschluss an Galilei und Kepler auf sein Gravitationsgesetz G kam. Mathematisch
ergeben sich ja Fallbeschleunigungen, Wurfparabeln und Planetenellipsen aus einem
Kraftgesetz für G = const. (m_1 m_2) / r^2, wenn F = m a gesetzt wird, so dass die
kräftefreie Bewegung im unendlich ausgedehnten leeren Raum dem Trägheitsgesetz genügt und
die NM damit Galilei-invariant ist, d.h. unabhängig von Verschiebungen des Bezugssystems
mit konst. Geschw. Ebenso wie die Invarianz der QM nicht hinreicht, die Feinheiten in
Atomen, reicht die Invarianz der NM nicht hin, die Feinheiten in Sternsystemen zu
berechnen.
Mathematisch ist der Zusammenhang zwischen Gravitationsgesetz und Kegelschnitten zwingend,
gleichwohl lässt das Kraftgesetz unendlich viele Lösungen zu, die bspw einzuschränken sind
auf das Sonnensystem. Die allgem. Kraftdef. stimmt ja nicht schon mit dem
Gravitationsgesetz überein, sie ist „leer“ und Einstein störte diese Unabgeschlossenheit.
Empirisch sind die gemessenen Planetenorte im Zeitverlauf, die Grav.-Konst. und
Testmassen. Heute lassen sich ja numerisch viele Bahnen im Sonnensystem simulieren — und
es gibt sogar eine "Numerical Relativity“:
https://arxiv.org/abs/2008.12931 <https://arxiv.org/abs/2008.12931>
In Analogie zum Coulomb-Gesetz der Elektrostatik ist für die Gravitation von George Green
auch eine Potentialtheorie entwickelt worden, wobei das Zeitintegral über die (räumlich)
dreidimensionale, (in der Standardabweichung) zeitabhängige Gaussverteilungsdichte gerade
das Newtonsche Graviationspotential liefert (vgl. meine Mail an Thomas vom 11. Febr.
2021). Zufall? In der Potentialtheorie ist die Kraft ja als Gradient des Potentials
definiert und der Newton-Gleichung für G entspricht die Possion-Gleichung, nach der das
Gravitations-Potential phi mit der Massendichte rho über die Konstante k wie folgt
zusammenhängt: Laplace phi = 4 pi k rho. Für rho wird in der relativistischen Theorie des
Gravitationsfeldes der Tensor der Energiedichte T_kl gesetzt. An die Stelle des
Laplace-Operators in Laplace phi tritt der mit den Metrikkoeffizienten g_im verknüpfte
Krümmungstensor R_iklm in der Einsteinschen Feldgleichung der ART: R_kl + 1/2 g_kl R + L
g_kl = k T_kl, wobei L für die kosmologische Konstante steht.
Wird die Translationsinvarianz zur Eichinvarianz der Verschiebung umformuliert,
entsprechen dem affinen Zusammenhang die Gravitationskräfte und den Metrikkoeffizienten
die Potentiale. Die eichinvariante Bewegung einer Materieverteilung hat also die Existenz
eines Gravitationsfeldes zur Folge, das auf sie zurückwirkt und die Äquivalenz von träger
und schwerer Masse erzwingt. In der QED hat ganz analog ein eichinvarianter
Elektronenstrom die Existenz elektromagnetischer Felder zur Folge, die über einem dem
Äquivalenzprinzip entsprechenden Austauschstrom auf die Elektronen zurückwirken.
Eichtheorien sind Wechselwirkungstheorien zwischen Materie und Feldern. Folgerichtig ist
der Quantenfeldtheoretiker Weinberg in seiner Darstellung der ART nicht vom
Relativitätsprinzip, sondern vom Äquivalenzprinzip ausgegangen. Das alles im Detail zu
bedenken, kann zu einer Lebensaufgabe werden.
Einfacher macht es sich, wer schreibt: „Die Steine fallen, weil sie fallen.“ Claus hat
damit ja gerade auf Uli Gneiting verwiesen, den ich nur noch dunkel als Anti-Realisten
erinnere, das Zitat aber einstmals in den Aufzeichnungen Exupery’s gelesen hatte:
"Das Paradox, das ich zunächst den Dummköpfen entgegenhalte, ist zweifellos amüsant.
Wißt ihr, weshalb ein Stein fällt?
Ja, weil er von der Erde angezogen wird.
Was heißt Anziehung?
Nach etwas streben, auf etwas gerichtet sein.
Wie nennt man: ”auf etwas gerichtet sein“,
wenn es sich um die absteigende Senkrechte handelt? Fallen.
Ein Stein fällt also, weil er fällt.
Sind sie nun mit sich zufrieden?“
Wie er das wohl gemeint haben haben mag? Ironisch? Satirisch? Jedenfalls wird eine
empirische Frage in ein Sprachproblem verwandelt, das dann paradox erscheint. Erst wird
die Frage nach dem Weshalb in ein "Was heißt" umformuliert und sich dann
amüsiert, wenn bloß eine Tautologie herauskommt. Weshalb sich die Dinge anziehen, wird
außerhalb der Umgangssprache beantwortet, und zwar mittels mathematischer und
experimenteller Beweisführung. Das Geheimnis der Materialität der Dinge beruht auf dem
Austausch von Gravitonen. Alle Dinge sind letztlich Energiegestalten, die über Gravitonen
miteinander wechselwirken. Es ist die Energie, die in allem wirkt und alles schafft. Oder
sind es vielleicht die Ure? Und schon sind wir uns nicht mehr einig …
IT
Am 18.03.2024 um 01:41 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 17.03.2024 um 08:08 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
die Volkshochschule könnte nicht schaden — es reicht aber ein Blick in die
Physikgeschichte, besagt doch das von GALILEO GALILEI (1564-1642) gefundene
Trägheitsgesetz: „Ein Körper bleibt in Ruhe oder in gleichförmiger geradliniger Bewegung,
solange die Summe der auf ihn wirkenden Kräfte null ist.“ Dem entspricht ja Newton’s
Kraftdefinition: F = m a. Ist a = 0 folgt F = 0. Bei Aristoteles war die Ortsbewegung noch
ein physischer Vorgang, seit Galilei ist sie ein idealer Zustand, der natürlich nirgendwo
exakt vorliegt, aber die NM beflügelte. Vgl. dazu meine Mail an Klaus: In der Schule mag
die NM ein Problem sein, in der Uni ist es nach wie vor die QM.
Um nochmal zu verdeutlichen, was ich mit meinem Beispiel von den seilziehenden
Schülergruppen, bezogen auf Newtons erstes Bewegungsgesetz im Kontext des von Dir in
diesem Zusammenhang explizit angeführten physikalischen Prinzips actio=reactio, ausdrücken
wollte:
Bei dieser Annahme eines Kräftegleichgewichts gibt Newtons Trägheitsgesetz an, dass die
Beschleunigung eines Objekts 0 m/s beträgt, wenn die Kräfte, die auf dieses Objekt (im
Beispiel das Seil) wirken, ausgeglichen sind.
Wird also das Seil als Objekt dieses Kräftesystems nicht bewegt, sind alle darauf
einwirkenden Kräfte im Gleichgewicht, sind aber nach wie vor vorhanden (wie sollte sonst
ein Gleichgewicht hergestellt sein?), heben sich jedoch in ihrer Wirkung gegeneinander
auf.
Etwas anderes habe ich doch nicht geschrieben, allenfalls anders formuliert:
Wenn von beiden gegeneinander stehenden Gruppen eine exakt gleich große Kraft auf das
Seil ausgeübt wird, kommt es zum Bewegungsstillstand dieses Kräftesystems: F_links =
F_rechts => Kräftegleichgewicht und die resultierenden! Kräfte sind Null, das bedeutet
aber nicht, dass keine Kräfte mehr vorhanden sind, sondern diese sich in Summe zu Null
resultierend entgegen stehen.
Der Bewegungszustand des Seiles ändert sich also nicht deshalb, weil keine Kraft wirken
würden, sondern weil diese sich in ihrer Wirkung aufheben.
Mein Beispiel bezieht sich somit also (gemäß actio=reactio) auf ein Kräftesystem im
Gleichgewicht F1=F2 resp. (ma)1=(ma)2.
Nimmt man hingegen Dein Beispiel einer einzelnen Kraft, die auf ein Objekt bewegend
wirkt, gilt natürlich F=ma. Wirkt keine Beschleunigung auf (1/m), ist nichts mehr mit
Kraft F.
Wem erzähle ich das? Hier sind wir doch einig, wie selten! Oder bleibt mir tatsächlich
nur noch ein Auffrischungskurs in Physik an der Volkshochschule.
Apropos diese: Gelegentlich hatte ich als Gastdozent an TU/FH aber auch an
Volkshochschulen Vorträge (nicht zu Physik als solche) gehalten. Und tatsächlich: bei
letzteren fand ich bisweilen mehr lebhaftes Interesse für das jeweilige Thema, als bei den
Studis.
Also stimmt‘s: Volkshochschule kann nicht schaden! Vermutlich auch deshalb, weil
Kursteilnehmende aus ihrer Lebenserfahrung wissen, dass Lernen um des Wissens willen im
deutlichen Unterschied zum Lernen um des Begreifens willen steht, dieses setzt aber
Lebenserfahrung voraus. Etwas wissen bedeutet längst nicht, etwas damit auch begriffen zu
haben.
Dennoch wäre es interessant von Waldemar zu erfahren, welche Bewegung an „Hammelkörnchen“
dann noch bei a=0 im oben benannten Gleichgewichtssystem stattfinden könnte und schon sind
wir beim Sprung von NM zur QM.