Am 18.09.2023 um 02:11 schrieb Karl Janssen über
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Freie Marktwirtschaft und die damit verknüpfte Arbeitswelt ist m.E. das derzeit einzige
Wirtschaftssystem, welches sich in einer Demokratie realisieren lässt. Letztere lässt
natürlich beliebige Freiräume für den Missbrauch und somit auch für deutliche Ansätze
kapitalistischer Methoden. Sieht man genau hin, zeigt sich jedoch, dass sich kaum ein
Klein- oder mittelständischer Betrieb erlauben kann, Mitarbeiter „auszubeuten“,
Großbetriebe ohnehin nicht, da sich dort immer Vertretungen von Arbeitnehmern, i.w.
Gewerkschaften finden, die über die Einhaltung entsprechender Arbeitsnormen wachen. Zudem
existiert ein Arbeitsrecht, das durch entsprechende Gerichtsbarkeit umgesetzt wird. Ich
denke, das gilt für den Löwenanteil aller europäischen Industrieländer und insoweit ist
ein darauf bezogenes „Kapitalismus-Bashing“ letztlich nur eben dieses.
Moin Karl,
Schumpeter beschließt seine Abhandlung „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" mit
einem Vergleich zwischen Demokratie und Kapitalismus. In der Demokratie würden die
sozialen Ziele der Politik in ähnlicher Weise erlangt wie die Produktionsziele im
kapitalistischen Unternehmen: ”Um zu verstehen, wie die demokratische Politik dem sozialen
Ziele dient, müssen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden,
daß die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird —
im gleichen Sinne wie die Produktion eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profit ist.“
Schumpeter hatte ich wiederholt zitiert, da er das Verhältnis zwischen Demokratie und
Kapitalismus nüchtern auf den Punkt bringt. Legendär auch sein Konzept der Kreativen
Zerstörung, wodurch sich der Kapitalismus technologiegetrieben fortwährend reproduziert in
der 4-Phasen-Zyklenfolge: Prosperity, Rezession, Depression, Recovery. Eine
systemdynamische Simulation der Kreativen Zerstörung im Vergleich mit anderen Konzepten
hat Khalid Saeed vorgenommen in: "Limits to Growth Concepts in Classical Economics“.
Du müsstest Deine angenommene Alternativlosigkeit im Verhältnis von Marktwirtschaft und
Demokratie schon zu begründen versuchen, ansonsten bleibt es bloß ein ständig wiederholtes
ideologisches Dogma. Mir ging es um das Zusammenspiel von fossilem und kapitalistischem
Imperium durch Oligopolbildung. Damit höhlt der Kapitalismus die Demokratie ebenso aus wie
die Marktwirtschaft, die somit beide nicht frei sein können im Kapitalismus. Befreit
würden sie im Degrowth-Kommunismus, den ich in der Mail an RF bereits als Vision Saitos
erwähnt hatte.
Was bei Schumpeter fehlt, ist nicht die sozialistische, wohl aber die ökologische
Perspektive. Wobei Klimakrise und Artensterben als beispielloses Marktversagen anzusehen
sind im privat- wie im Staatskapitalismus. Saito hat in der ökonomischen Entwicklung
Marxens drei Phasen ausgemacht, die vom Produktivismus über den Ökosozialismus bis zum
Degrowth-Kommunismus reichen. Seine fünf Säulen dazu beinhalten stichwortartig: 1. den
Wandel zur Gebrauchswertwirtschaft, 2. die Verkürzung der Arbeitszeit, 3. die Aufhebung
uniformer Arbeitsteilung, 4. die Demokratisierung des Produktionsprozesses und 5. den
Fokus auf systemrelevante Arbeit.
Das sind alles einsichtige und bereits seit dem 19. Jahrhundert diskutierte Forderungen,
aber niemand hat sie bisher gegen das kapitalistische Imperium durchzusetzen vermocht.
Einen Kommunismus im Marxschen Sinn hat es nie gegeben und wird es meiner Vermutung nach
auch nie geben; denn was fürchten Kapitalisten mehr als Wachstumsbremsen und Enteignungen
zugunsten des Gemeinwohls? Und so dürften sie wie schon vor 100 Jahren den Faschisten zur
Macht verhelfen, diesmal wohl in der globalen Herrschaft von Klima-Faschismen.
Wie gesagt, damit ist nicht zum Ausdruck gebracht,
dass es keinen Missbrauch in diesem „kapitalistischen“ Wirtschaftssystem gibt, dieser ist
aber nicht dem System, sondern der grundsätzlichen Missbrauchsgeneigtheit von Menschen
anzulasten.
Wäre es nicht sinnvoller, anstatt der „grundsätzlichen Missbrauchsgeneigtheit von
Menschen“ entgegenzukommen, ihr eher entgegenzuwirken? Im Kapitalismus wird der Missbrauch
leicht gemacht,— so wie in den USA durch die Verbreitung von Waffen das Töten leicht
gemacht wird. Sollte also nicht eher ein Ordoliberalismus verfolgt werden, anstatt weiter
dem pseudoliberalen Wachstumspfad zu folgen?
IT