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Am 14. März 2017 um 00:42 schrieb hipp--- via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>:
> (Eine Nebenfrage an Ratfrag: Löst sich damit nicht die Frage nach Humes Gesetz
> und allen Sätzen im Zusammenhang mit dem naturalistischen
> Fehlschluss damit auf, wenn das Wort Tatsachen nicht verwendet wird?)
Ich nehme an, es geht um "Reden wir über Tatsache" eine - so wollen
wir es mal großzügig nennen - Serie von Briefen, in denen ich unter
anderem den Standpunkt vertrat, dass man auf die Idee von Tatsachen
verzichten könnte.
In der Tat ist der Einwand gut.
Nehmen wir einmal an, wir beobachten den selben Forscher in zwei
Paralleluniversen:
a) Der Forscher kennt die Theorie, dernach alle Schwäne weiß sind. Er
beobachtet ein fremdes Lebewesen, das exakt aussieht wie ein Schwan,
aber schwarz ist. Er nimmt das Tier auf, bringt es nach Europa und
beginnt dort eine lange Diskussion. Am Ende kommt man zum Ergebnis,
dass es sich hier nicht um einen echten Schwan handelt, sondern um
einen "Pseudo-Schwan".
Bald finden sich auch Schriften, die weitere subtiele kleine
Unterschiede herausarbeiten etwa kleine durchschnittliche Abweichungen
im Verhalten der Tier unter bestimmten Umständen oder sowas.
b) Der selben Forscher findet das Tier, bringt es nach Europa und dort
kommt man zu den Schluss, dass eben doch nicht alle Schwäne weiß sind.
Die anderen Naturforscher untersuchen dann diese Tiere und kommen zum
Ergebnis, dass sie im Verhalten, Anatomie usw. im Wesentlichen gleich
sind, also klar zur selben Tierart gehören. Einigen aufmerksamen
jungen Forschern gelingt es, zu zeigen, dass Schwäne unter bestimmten
Bedingungen ein anderesn Verhalten zeigen, die gelehrte Welt fügt
ihren Bild vom Schwan also weitere Aspekte hinzu.
Was ist hier passiert?
Vorher ging man von folgender Schlussfolgerung aus:
(P1) Alle Schwäne sind weiß.
(P2) Das Tier X des Forschers ist ein Schwan.
(K) Es ist weiß.
Es gilt aber: ~K Das Tier ist nicht weiß.
Dieser Schluss war aber falsch. Das Tier war nicht weiß. Wie sollte
man nun weiter vorgehen? In Viersion (a) der Geschichte haben die
Forscher an (P1) festgehalten, aber (P2) aufgegeben. Sie folgerten
Also:
(P1) Alle Schwäne sind weiß.
(~K) Das Tier X des Forschers ist nicht weiß.
(K2) Das Tier des Forschers ist kein Schwan.
In Version (b) passierte etwas völlig anderes. Hier waren die Forscher
eher bereit (P1) aufzugeben als (P2):
(~K) Das Tier des Forschers ist nicht weiß
(P2) Das Tier X des Forschers ist ein Schwan.
(K3) Einige Schwäne sind nicht weiß.
Der Punkt ist, dass in diesem Beispiel die Tatsache zwar feststeht,
aber zu zwei völlig verschiedenen Schlussfolgerungen geführt hat.
Der hier relevante Punkt ist aber: Das wäre völlig unerwünscht auf dem
Gebiet der Moral, oder?
So zumindest sehen es die modernen, deontischen Logiker. Deshalb wird
der Satz []p -> p und p -> <>p meist in diesen Systemen nicht
anerkannt. Nicht alles, was sittlich geboten ist, ist wahr und nicht
alles, was wirklich passiert, ist auch erlaubt.
> Das vorausgeschickt, wird mit jeder Äußerung, die z.B. menschliches
> Denken voraussetzt, ein Sollen mit in die Äußerungen sozusagen
> hinein manipuliert.
Wir wünschen Menschen durch unser Verhalten zu manipulieren. Man kann
im Grunde schon den Akt des Verstehens als eine subtiele Form der
Manipulation verstehen.
Ist es das, auf das du hinauswillst?
Gegenargument:
Ich sehe darin nicht unbedingt eine normative Komponente. Ich kann
eine Absicht verfolgen und einen anderen Menschen manipulieren, OHNE
dabei an sowas wie ein Sollen zu denken.
> Ratfrag beschreibt das im Zusammenhang mit „Verbrechen“ richtig, aber mit vielen Wörtern.
Das ist tatsächlich eine Art persönlicher Fehler von mir. Fähigere
Leute würde es komprimierter darstellen.
> Wenn ich einen Satz als Teil der Kausalketten sehe, kann ich ihn nicht interpretieren,
> ich kann allerhöchstens die Frage stellen, aus was heraus
> er entstand und was auf ihn folgt. Dann ist die Hermeneutik
> so oder so am Ende angelangt,
Das erinnert mich einerseits an B F Skinner, andererseits an den Pragmatismus.
Allerdings, glaube ich, es lässt sich ein Satz auch weiterhin
wortwörtlich interpretieren. Siehe mein Beispiel mit der Justiz (wohl
heutige die relevanteste Form der Textauslegung, nachdem die Religion
entweder an Bedeutung verlor oder sich in Fundamentalismen begab, die
jede Auslegung leugnen).
Man kann sogar so weit gehen und den "Willen des Gesetzesgebers" von
der "Bedeutung der Gesetze" grundsätzlich als entkoppelt sehen. Der
Gesetzgeber kann demnach ein Gesetz verabschieden und damit A
beabsichtigen, aber in Wahrheit etwas völlig anderes erreichen, weil
er die Zusammenhänge zu anderen Gesetzen, internationalen Verträgen,
Verordnungen, Verwaltungsakten usw.usf. nicht hinreichend
berücksichtigt hat.
Ist das nicht die Ursache der öffentlichen Klage über handwerklich
schlechte Gesetze?
Die "wortwörtliche" Interpretation ist vielleicht zu betrachten als
berücksichtigung des tatsächlichen oder idealisierten Sprachgebrauchs.
Sprich: Duden oder Umgangssprache.
Unsere Sprache ist ja modular gebaut, aus Buchstaben, die noch keine Bedeutung haben, Worten, die schon eine Bedeutung haben, aber in der Regel noch keine vollständigen sprachlichen Einheiten sind in dem Sinn, daß der Empfänger wüsste, was er damit anfangen soll, wenn nicht noch etwas folgt und Sätzen.
Als ich sagte, daß auch Zeichen nicht ohne normative Setzungen auskämen, diese aber von Handlungspflichten zu unterscheiden wären, dachte ich dabei an Worte.
Natürlich können aber Sätze oder Verkehrszeichen oder auch Kommandos, die aus nur einem Wort bestehen, zu Handlungen oder Unterlassungen auffordern. Das muss aber nicht so sein. Bei Beschreibungen ist es z.B. nicht der Fall. Die Notwendigkeit einer Definition von Zeichen, denen wir ihre Bedeutung nicht ansehen (zunächst mit Hilfe von natürlichen Zeichen) ist dagegen allgemein. Deshalb hatte ich daran gedacht.
Grüsse, Claus
hipp--- via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> schrieb:
>[Philweb]
>On 14.03.2017 21:36, Claus Zimmermann via Philweb wrote:
>" Jedoch ist die Frage inwieweit, wenn wir etwas beschreiben nicht bereits Normen verwenden und damit auch normative Setzungen vornehmen." (Zitat Arnold Schiller)
>und Claus Zimmermann:
>Hallo Arnold, ich würde sagen, daß sich die "normative Setzung" bei Zeichen, denen wir ihre Bedeutung nicht ansehen können, in Form einer Definition auf die Bedeutung des Zeichens bezieht. Soll es irgendetwas bedeuten und gegebenenfalls was, wenn ich... mache? Darauf muß man sich einigen, wenn das Zeichen verständlich sein soll.
>Es ist aber nicht das gleiche wie die Annahme einer Handlungspflicht. (Zitat Claus Zimmermann)
>
>(Hipp:)
>Es ist nicht so, dass ich der eventuellen Antwort von Arnold Schiller vorgreifen will, will deswegen nur einige Sätze erzählen. Ich gehe mit Arnold Schiller und mit der Annahme einer Handlungspflicht schon im Zeichen (im, danach oder gleichzeitig). Alles kann in diesem Zusammenhang sehr das sehr differenziert gesehen werden, nicht nur weil ich nicht von Zeichen ausgehe. Zeichen in der Umgangssprache sind viel breiter zu sehen als gesetzte Zeichen. Als der kluge Hans, ein Pferd des Wilhelm von Osten bewundert wurde, fragten sich die Zuschauer, mit welchen Zeichen denn Wilhem von Osten mit dem guten Pferd kommunizierte. Es gibt bei jeder Sache eine Lernphase, etwa mit Butterbrot und Peitsche - normative Setzung, und dann entsteht die richtige Reaktion (oder auch nicht). Und diese geht einher mit der Handlungspflicht. Das ist nur ein Beispiel, eines unter vielen, aber das Beispiel des klugen Hans ist sehr komplex. Ein anderes Beispiel: Eine Gruppe von Personen, es können auch Tiere sein, und eine erste Person tut was, dann kann es sein, dass alle dies nachmachen. Es bedarf keines Befehls, es kann z.B. genügen, wenn der Revolver der nächsten Person übergeben wird. Ein auch noch so minimales Zeichen kann zu einer Handlung bewegen oder sogar eine Handlungspflicht sein. Ich gehe nicht von Handeln aus, es genügt hier das Wort Ablauf oder Folgegeschehen.
>
>Wenn A dem B sagt, was ein Glas Wasser ist, dann hofft er irgendwie, dass er auch ein Glas Wasser bekommt, wenn er mal Durst hat, und er danach fragt, und das Glas Wasser selbst nicht holen kann. Es kann kein Lernen ohne normative Setzung geben. (Das kann zwar falsch sein, aber ich kann nicht alle Ausnahmen hier suchen.)
>
>Verkehrszeichen sind auch im sprachtechnischen Sinne Zeichen. Einerseits ist das Zeichen einer Einbahnstraße deskriptiv, andererseits preskriptiv. Die Teilnahme am Verkehr erfordet beides. Die Handlungspflicht beginnt schon beim Lernen. A will am Verkehr teilnehmen, also fügt er sich der Pflicht, oder tut zumindest so als ob. Ein Pferd mag zwar die Peitsche sehen, aber das Verkehrszeichen ist ihm keine Peitsche, es hält sich nicht daran, aber derjenige, der das Verkehrszeichen gelernt hat, so wie auch das Pferd die Peitsche irgendwann kennengelernt hat, steht unter der gewollten oder ungewollten Handlungspflicht. Obwohl die Peitsche nicht eine Norm vorgibt, und wenn, dann eine ausweichende. Und auch im Verkehr geht es oft darum, auszuweichen.
>
>Joseph Hipp
>_______________________________________________
>Philweb mailing list
>Philweb(a)lists.philo.at
>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Hallo Arnold,
ich komme nicht so ganz dahinter, was du meinst. Es scheint um einen
Zusammenhang zwischen einem normativen Gehalt von Beschreibungen mit
sozialen Bedingungen oder konkret staatlicher Forschungsfinanzierung zu
gehen, wenn ich das nicht missverstehe. Meinst du vielleicht, daß der,
der die Rechnung bezahlt, auch den Ton und die Richtung angibt? Das
könnte man aber nur durch eine Betrachtung tatsächlicher Verhältnisse
feststellen, insofern wäre es, wie Ratfrag immer sagt, nicht unbedingt
ein Thema für die Philosophie.
Aber wahrscheinlich stehe ich auf dem Schlauch und richte daher ein
offizielles Hilfegesuch an alle, die besser verstehen, worum es geht.
Die Aussage "Ich schreibe dir", wenn das dann nicht geschieht, wäre eine
Unwahrheit, aber nicht bedeutungslos.
Grüsse, Claus
Am 14.03.17 23:04, schrieb Arnold Schiller:
> Am 14.03.2017 um 21:36 schrieb Claus Zimmermann:
>> " Jedoch ist die Frage inwieweit, wenn wir etwas beschreiben nicht bereits Normen verwenden und damit auch normative Setzungen vornehmen." (Zitat Arnold Schiller)
>>
>> Hallo Arnold, ich würde sagen, daß sich die "normative Setzung" bei Zeichen, denen wir ihre Bedeutung nicht ansehen können, in Form einer Definition auf die Bedeutung des Zeichens bezieht.
> Das ist definitiv zu wenig, denn ein Zeichen an sich ist nicht die
> gesamte Norm. Ich dachte das wäre mit dem "Higgsteilchen" vollkommen
> klar oder wie sagt der heilige Ludwig die stillschweigenden Vereinbarung
> zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.
>
>> Soll es irgendetwas bedeuten und gegebenenfalls was, wenn ich... mache? Darauf muß man sich einigen, wenn das Zeichen verständlich sein soll.
>> Es ist aber nicht das gleiche wie die Annahme einer Handlungspflicht.
> Was soll die Aussage "Ich schreibe Dir" bedeuten, wenn ich dir nicht
> schreibe?
>
> Grüße,
> Arnold
>
>
" Jedoch ist die Frage inwieweit, wenn wir etwas beschreiben nicht bereits Normen verwenden und damit auch normative Setzungen vornehmen." (Zitat Arnold Schiller)
Hallo Arnold, ich würde sagen, daß sich die "normative Setzung" bei Zeichen, denen wir ihre Bedeutung nicht ansehen können, in Form einer Definition auf die Bedeutung des Zeichens bezieht. Soll es irgendetwas bedeuten und gegebenenfalls was, wenn ich... mache? Darauf muß man sich einigen, wenn das Zeichen verständlich sein soll.
Es ist aber nicht das gleiche wie die Annahme einer Handlungspflicht.
Grüsse, Claus
Es ging zunächst themengemäß darum, daß sich die Rechtsfolge nicht von selbst aus dem Tatbestand ergibt oder schon darin enthalten ist wie auch ein Gerechtigkeits- oder Werturteil nicht schon in der Beschreibung einer Handlung enthalten ist und nur schlußfolgernd herauspräpariert werden muß, damit man es deutlich sieht.
Dann liegt, immer noch im Rahmen des Themas "Sein und Sollen", die Frage nah: wie kommen die Rechtsfolge und die genannten Urteile zustande? Da sind die beiden Thesen "angeboren" und "anerzogen" sehr verbreitet und vielleicht einseitig. Die Untersuchung der konkreten Umstände, unter denen ein konkreter zweiter Schritt getan wird, die Frage, was das eine mit dem anderen zu tun hat, wäre Gegenstand der genannten Wissenschaften. Nicht so die Frage, ob "jedes Blatt beschrieben" werden kann, denn sie kann nicht dadurch beantwortet werden, daß man sich eine begrenzte Zahl von Blättern ansieht. Dazu muß man seinen Kopf aufräumen, d.h. wir haben es mit einer philosophischen Frage zu tun.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag <rat96frag(a)gmail.com> Datum: 13.03.17 22:45 (GMT+01:00) An: Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de> Cc: philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: Re: [Philweb] Eine Überlegung zu Humes Gesetz
Am 13. März 2017 um 17:57 schrieb Claus Zimmermann:
"Ein Schluß vom konkreten Sein oder tatsächlichen Verhältnissen auf ein Sollen ist nicht zulässig" oder "Ohne Sollen in den Voraussetzungen keins in der Schlussfolgerung".
Würde ich unterschreiben.
Ich hiel den Gedanken auch für sehr plausibel. Mir sind nur auch Zweifel gekommen.
Allerdings ist diese Hinzufügung nicht willkürlich, sondern hängt, wie ich glaube, mit unserer Erziehung und unserer Natur - und damit doch wieder mit einer Art Sein - zusammen (und vielleicht mit diversen Interessen). Wir würden rechtlich und moralisch vermutlich nicht so urteilen, wie wir es tun, wenn wir anders erzogen wären. Man kann sich aber auch Fälle zumindest vorstellen, in denen jede moralische Erziehung an etwas abprallt, was man Wertblindheit nennen könnte.
Hier betreten wir aber den Bereich der Rechtssoziologie, Psychologie, Geschichte usw. verlassen damit aber auch den engeren Bereich der Ethik, sofern sie sich mit normativer Moral befasst.
Was bei mir wiederum interessante assoziationen weckt ("Überlegungen" würde ich sie nicht nennen wollen).
Wenn man das tut, hat man das Sollen heimlich, still und leise in die Voraussetzungen geschmuggelt. Wie du ja auch selbst sagst.
Wobei ich glaube, dass diese "impliziten Voraussetzungen", sich noch in anderen Schlussfolgerungen finden, ja in der Praxis der Normalfall sind.
Die "Interpretation" von P3 im letzten Absatz deiner mail ist meiner Meinung nach nur eine Umformulierung. Entweder man versteht den Begriff des Verbrechens rein rechtstechnisch, dann ist kein Werturteil impliziert. Oder man verbindet es mit einem Werturteil, dann hat man die Voraussetzung eingeführt.
Das ist durchaus richtig.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag <rat96frag(a)gmail.com> Datum: 13.03.17 22:45 (GMT+01:00) An: Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de> Cc: philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: Re: [Philweb] Eine Überlegung zu Humes Gesetz
Am 13. März 2017 um 17:57 schrieb Claus Zimmermann:
"Ein Schluß vom konkreten Sein oder tatsächlichen Verhältnissen auf ein Sollen ist nicht zulässig" oder "Ohne Sollen in den Voraussetzungen keins in der Schlussfolgerung".
Würde ich unterschreiben.
Ich hiel den Gedanken auch für sehr plausibel. Mir sind nur auch Zweifel gekommen.
Allerdings ist diese Hinzufügung nicht willkürlich, sondern hängt, wie ich glaube, mit unserer Erziehung und unserer Natur - und damit doch wieder mit einer Art Sein - zusammen (und vielleicht mit diversen Interessen). Wir würden rechtlich und moralisch vermutlich nicht so urteilen, wie wir es tun, wenn wir anders erzogen wären. Man kann sich aber auch Fälle zumindest vorstellen, in denen jede moralische Erziehung an etwas abprallt, was man Wertblindheit nennen könnte.
Hier betreten wir aber den Bereich der Rechtssoziologie, Psychologie, Geschichte usw. verlassen damit aber auch den engeren Bereich der Ethik, sofern sie sich mit normativer Moral befasst.
Was bei mir wiederum interessante assoziationen weckt ("Überlegungen" würde ich sie nicht nennen wollen).
Wenn man das tut, hat man das Sollen heimlich, still und leise in die Voraussetzungen geschmuggelt. Wie du ja auch selbst sagst.
Wobei ich glaube, dass diese "impliziten Voraussetzungen", sich noch in anderen Schlussfolgerungen finden, ja in der Praxis der Normalfall sind.
Die "Interpretation" von P3 im letzten Absatz deiner mail ist meiner Meinung nach nur eine Umformulierung. Entweder man versteht den Begriff des Verbrechens rein rechtstechnisch, dann ist kein Werturteil impliziert. Oder man verbindet es mit einem Werturteil, dann hat man die Voraussetzung eingeführt.
Das ist durchaus richtig.
Ratfrag:
> Meines Erachtens ist das Konzept (dichte Begriffe, von Hipp eingefügt) nicht trivial zu erklären. Was, je nachdem, welche Absicht man verfolgt, ein gutes Argument für die Existenz dichter Begriffe oder für die Unklarheit des Konzeptes ist.
(Hipp)
Nun bin ich mir sicher, dass sie (dichte Begriffe) als Umstand ein Wetzstein für meine Zugangsweise sind, gemäß der jedes Wort ein Sollen ist, kein moralisches aber eins das auf Verstehen abzielt.
Ratfrag:
> Kannst du das näher erklären?
Hipp:
Ich gehe davon aus, dass sogar schon ein Schrei auf eine Folge wartet, nicht erst ein Wort, ein Satz, ein Text. In der Kausalkette bzw. in den Kausalketten sind Äußerungen nichts anderes als Geschehnisse, und umgekehrt sind Geschehnisse Folgen von anderem. Ich abstrahiere nicht von der Kausalität, wie es das Denken oder Nachdenken für sich beansprucht, dieses Abstrahieren läuft parallel mit der Auffassung, eine Person könne außerhalb der Geschehnisse eine Ebene herstellen, und die erste Ebene, in der die Kausalität angenommen wird, verlassen. So kann ich auch keine Trennung zwischen Tatsachen und "Nicht-Tatsachen" nachvollziehen bzw. von vornherein hypothetisch annehmen, höchstens in einem Denkspiel, in dem ich mitmachen kann.
(Eine Nebenfrage an Ratfrag: Löst sich damit nicht die Frage nach Humes Gesetz und allen Sätzen im Zusammenhang mit dem naturalistischen Fehlschluss damit auf, wenn das Wort Tatsachen nicht verwendet wird?)
Das vorausgeschickt, wird mit jeder Äußerung, die z.B. menschliches Denken voraussetzt, ein Sollen mit in die Äußerungen sozusagen hinein manipuliert. Je komplexer die Äußerungen werden, um so mehr Sollen kommt in sie hinein. Ohne irgend etwas in die Wendung Am Anfang war das Wort hinein zu interpretieren ist der Moment des Mitmachens mit den Begriffen mit dem Einwilligen der Person verbunden, die Wörter so zu verwenden wie derjenige, der sie zuerst verwendete bzw. von diesen auszugehen, sie zu verwerfen, anzunehmen, zu nutzen oder auch nicht. Es ist wie eine Falle, aus der man nicht heraus kommt. Der erste Zug ist getan, der Vorteil dieses Zuges kann nicht mehr wettgemacht werden. Je komplexer und unklarer die Sache ist, für die das Wort stehen soll, um so gefährlicher ist das Mitmachen, und um so mehr Sollen ist dabei. Das ist bei Wörtern wie dichte Begriffe genauso gut der Fall sein wie bei Wörtern wie populistisch. In der Folge ist es einfach zu sagen: In diesen Begriffen steckt eine Wertung, was wiederum etwas mehr sein soll als ein einfaches Sollen, das schon in einem Schrei vorhanden sein kann, nämlich: Mit dem Schrei will A bewirken, dass B ihm hilft. Und A kann ebenso ein Mensch wie ein anderes Tier sein.
Ratfrag beschreibt das im Zusammenhang mit Verbrechen richtig, aber mit vielen Wörtern. Eine minimalistische Vorgehensweise kann verhindern, dass da verschiedene Sachen als gleich angesehen werden. Was gebrochen wird kann ... gemäß Ratfrag richtig auch eine Moral sein. Aber eine Moral ist mit einem Text beschreibbar, und somit mit Sätzen als Atome des Textes in einer bestimmten Reihenfolge oder Kombination. Zum Schluss sind es wieder die Sätze, und die sie beinhaltenden Wörter.
Wenn ich einen Satz als Teil der Kausalketten sehe, kann ich ihn nicht interpretieren, ich kann allerhöchstens die Frage stellen, aus was heraus er entstand und was auf ihn folgt. Dann ist die Hermeneutik so oder so am Ende angelangt,
Ratfrag hat die Sache richtig gesehen was die Auslegungsmöglichkeiten anbelangt.
> Was die "Hermeneutik" angeht, so sehe ich nach deiner Beschreibung ein naheliegendes Problem: Woran erkennt man das korrekte Vorgehen des
Lesers?
Das würde ich auch gerne wissen. Denn es kann ja sein, dass er die Sache missversteht, und dann wie Ratfrag schreibt, sozusagen eine ganz neue Sache entsteht, dazu bedarf es jedoch keines Missverstehens.
auf den Absatz des Ratfrag
> Wenn wir uns für zweiteres entscheiden, dann müssen wir auf den normalen oder einen ideellen Sprachgebrauch abzielen. Berühmtes Beispiel etwa, wenn der Firmenchef sagt, er möchte in Nürnberg "longieren" (mit einem Pferd reiten), er meint aber "logieren" (im Hotel übernachten). Der guckt dann ziemlich komisch aus der Wäsche, wenn er an der Pferderennbahn ankommt, weil der ausführende Mitarbeiter ihn wörtlich verstanden hatte.
Der Leser kann auch einfach mit Sätzen weiterfahren, die nichts mit den ersten zu tun haben: "Wenn du lo(n)gieren gehst, dann gehe ich mal jonglieren."
> Entweder indem wir sagen, korrekt verstanden ist ein Text, wenn der Leser die Absicht des Autors verstehe oder nicht.
Mit dem Wort Absicht wird etwas zu Anderes eingebracht, das zusätzlich in die Irre führen kann. Steckt in einem Schrei, in einem Begriff, einem Satz eine Absicht? Muss der sich Äußernde verstanden werden? Genügt es nicht, der Äußerung Folge zu leisten, nach der Methode Versuch und Irrtum. Vielleicht hört er ja dann auf zu schreien.
Joseph Hipp
"Ein Schluß vom konkreten Sein oder tatsächlichen Verhältnissen auf ein Sollen ist nicht zulässig" oder "Ohne Sollen in den Voraussetzungen keins in der Schlussfolgerung".
Würde ich unterschreiben.
Zu den "dichten Begriffen" hilft vielleicht ein Ausflug in die Rechtswissenschaft. Ein Gesetz besteht in der Regel aus Tatbestand und Rechtsfolge. Der Tatbestand ist die Beschreibung einer Situation. Wenn festgestellt wird, daß diese Situation gegeben ist, zieht das die im Gesetz vorgesehenen rechtlichen Konsequenzen nach sich. Die Rechtsfolge kann aus dem Tatbestand nicht geschlossen, sondern muss hinzugefügt werden. Allerdings ist diese Hinzufügung nicht willkürlich, sondern hängt, wie ich glaube, mit unserer Erziehung und unserer Natur - und damit doch wieder mit einer Art Sein - zusammen (und vielleicht mit diversen Interessen). Wir würden rechtlich und moralisch vermutlich nicht so urteilen, wie wir es tun, wenn wir anders erzogen wären. Man kann sich aber auch Fälle zumindest vorstellen, in denen jede moralische Erziehung an etwas abprallt, was man Wertblindheit nennen könnte.
Der Unterschied zwischen Gesetz und dichtem Begriff scheint darin zu liegen, daß das Gesetz nicht beide Schritte zu einem zusammenzieht. Wenn man das tut, hat man das Sollen heimlich, still und leise in die Voraussetzungen geschmuggelt. Wie du ja auch selbst sagst.
Die "Interpretation" von P3 im letzten Absatz deiner mail ist meiner Meinung nach nur eine Umformulierung. Entweder man versteht den Begriff des Verbrechens rein rechtstechnisch, dann ist kein Werturteil impliziert. Oder man verbindet es mit einem Werturteil, dann hat man die Voraussetzung eingeführt.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> Datum: 12.03.17 21:05 (GMT+01:00) An: philweb <philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Eine Überlegung zu Humes Gesetz
[Philweb]
Hallo liebe Liste,
ich habe mir ein paar Gedanken zum Thema "Humes Gesetz" gemacht und
wollte mit euch darüber reden. Falls jemand nicht weiß, um was es sich
bei Humes Gesetz handelt, verlinke ich mal Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Humes_Gesetz
Humes Gesetz sagt also aus, dass wir von einer Aussage über Tatsachen
nicht zu einer Aussage über das moralisch richtige kommen können.
Vielleicht eine Veranschaulichung:
(P1) Jeder Mensch wünscht sich X
---
(K) Jeder Mensch sollte X haben.
Man bemerkt natürlich sofort, dass dieser (Pseudo-)Syllogismus (Anmk.:
Zu Humes Zeiten hat man in der Logik ja noch damit gearbeitet) falsch,
also logisch nicht zwingend ist. Schon weil ein Untersatz fehlt.
Will man daraus eine logisch korrekte Schlussfolgerung machen, muss
man eine zusätzliche Prämisse einführen:
(P1) Jeder Mensch wünscht sich X
(P2) Das, was sich jeder Mensch wünscht, sollten auch alle Menschen haben.
---
(K) Jeder Mensch sollte X haben.
Der eigentliche Knackpunkt an diesem Gesetz ist also, dass sich dieser
(Pseudo-)Syllogismus nur durch eine Prämisse komplettieren lässt, in
der bereits ein "soll" vorkommt. Nimmt man beispielsweise die Aussage:
(P1) Jeder Mensch wünscht sich X
(P2) Das, was sich jeder Mensch wünscht, das gestehen alle Menschen
auch jeden anderen Menschen zu.
---
(K) Jeder Mensch sollte X haben.
So folgt (K) nicht mehr logisch. Richtig wäre dann nur (K'):
(K') Jeder Mensch gesteht es allen anderen Menschen zu, dass er X haben sollte.
Doch selbst wenn alle Menschen es allen anderen Menschen gönnen, X zu
haben, so ist damit immer noch keine moralische Soll-Aussage
verbunden. Vielmehr haben wir es mit einer Aussage über Psychologie
oder vielleicht Politikwissenschaft zu tun. Will man zu einer
korrekten Schlussfolgerung gelangen, die zu (K) führt, so muss man
eine Prämisse einführen, die ein "Soll"-Urteil beinhaltet. Anders
formuliert können Soll-Aussagen nicht ausschließlich aus Sätzen über
Tatsachen gefolgert werden.
Diese Überlegung erschien mir sehr lange Zeit sehr vernünftig und korrekt.
Als Einwand gegen Humes Gesetz wird nun sehr häufig die Existenz
sogenannter "dichter Begriffe" angeführt. Also Begriffe, die neben den
rein sachlichen Urteil auch eine moralische Komponente beinhalten.
Etwa:
(P3) "Es ist ein Verbrechen, jemanden das vorzuenthalten, was sich
jeder Mensch wünscht".
Da der Begriff des Verbrechens sowohl am Vorliegen gewisser
tatsächlicher Kriterien festgemacht wird als auch eine normative
Komponente beinhaltet, kann über diesen Umweg also vom Sein auf das
Sollen geschlossen werden. So jedenfalls habe ich die Argumente
verstanden.
(Natürlich hätten wir bei (P3) noch die Kleinigkeit zu erledigen, den
Satz selbst zu rechtfertigen, das spielt aber für diese Überlegung
hier keine Rolle.)
Jetzt besteht das Problem, dass man die Aussage (P3) auch anders
interpretieren könnte, "jemanden das vorzuenthalten, was sich jeder
Mensch wünscht, trifft auf gerechtfertigte moralische Missbilligung"
oder "... wird als unmoralisch empfunden und sollte daher vermieden
werden".
Nimmt man diese Interpretation an, so enttarnt man diesen
vermeintlichen Schluss vom Sein aufs Sollen als eine versteckte
Soll-Prämisse. Sie wird sozusagen durch die Hintertüre eingeführt.
Doch könnte man (P3) doch auch so interpretieren, dass darin ein
"dichter Begriff" vorkommt. Sollte man in diesem Zusammenhang also
eher von einem "Humeschen Interpretationsvorschlag" als von einem
Gesetz sprechen?
Ich hoffe, dass euch die Diskussion dieses Gedankens Spaß macht.
_______________________________________________
Philweb mailing list
Philweb(a)lists.philo.at
http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Darf ich die Herrschaften zu einer unverbindlichen Besichtigung meines bescheidenen Internetdomizils clauszimmermann.de einladen? Jeder Besucher erhält einen Getränkegutschein. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Darf ich die Herrschaften zu einer unverbindlichen Besichtigung meines bescheidenen Internetdomizils clauszimmermann.de einladen? Jeder Besucher erhält einen Getränkegutschein. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Nachtrag: der Unterschied zwischen Pantoffeltierchen und den eigenen Wimpern beim Blick durchs Mikroskop käme im Bild tatsächlich nicht zum Ausdruck, in einer verbalen Beschreibung dagegen schon, es sei denn, sie bezieht sich nur auf Farb- und Helligkeitswerte und ihre Verteilung im Raum. An dieser Stelle hinkt der Vergleich zwischen beschreibendem Satz und Bild. Worte sagen einerseits weniger, heben nur einen Aspekt hervor und lassen andere weg, andererseits sagen sie manchmal aber auch mehr, wie man hier sieht. Ein Zwischenschritt, dem man die abbildende Funktion noch deutlicher ansieht, wäre eine Bilderschrift mit beispielsweise einem Haussymbol, dessen Details nichts über die des Gegenstands aussagen sollen.